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Erinnerung

Jede Gesellschaft, die sich zur Selbstvergewisserung auf ihre Wurzeln zurückbesinnt, braucht Geschichtsorte, Gedächtnisorte. So unverzichtbar die in schriftlichen Dokumentationen fixierte Geschichtsforschung ist, so notwendig ist die Pflege von Geschichtsorten, ob in Gestalt von Museen, Gedenk- und Dokumentationsstätten und historischen Bauten. Als unverzichtbarer Bestandteil der gesamten politischen und gesellschaftlichen Kultur sollen sie die Vergangenheit sinnfällig machen, als Orte des Gedenkens und des Lernens. Unsere Museumslandschaft ist reichhaltig und vielseitig. Darunter befinden sich ungezählte, auch entlegene Interessen bedienende und kuriosen Gegenständen gewidmeten Museen, aber auch mehrere Armeemuseen, Luftfahrtmuseen (mit Kriegsflugzeugen) Marinemuseen, Panzer- und andere Waffenmuseen. Es gibt mehr als 60, zum Teil riesige Automobilmuseen, als seien wir mehrt ein Autofahrerstaat als ein Rechtsstaat.

Ist nicht aber auch das Recht ein elementarer Kulturbereich? Der heutige Rechtsstaat ist erst in langen historischen Abläufen, mit vielen Fortschritten und Brüchen, entwickelt und erkämpft worden. Insbesondere am Beispiel der nationalsozialistischen Justiz läßt sich spiegelbildlich aufzeigen, was eine rechtsstaatliche Justiz für alle Lebensbereiche bedeutet und wie sehr jeder einzelne Bürger vom guten oder schlechten Funktionieren der Justiz betroffen ist. Nach Gedenk- und Erinnerungsorten zur Justizgeschichte muß man in der Bundesreplik aber mühsam Ausschau halten. Das gilt gerade auch für die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft. Selbst in den meisten Gedenkstätten zu den Jahren 1933 bis 1945 spielt die Justiz keine Rolle. Dabei standen die Juristen meist am oberen Ende der zu den Verbrechen führenden Täter- und Handlungskette. Sie sind der Prototyp des Schreibtischtäters.

Allerdings: Der Aspekt des Rechts und damit der Rechtsgeschichte als zu pflegende Kulturleistung hat im öffentlichen Bewusstsein nur einen geringen Stellenwert. Auch manche Politiker haben für das ureigenste Anliegen des Rechtsstaats – das Recht und die Justiz – im Bereich der Aufklärung und Erinnerung wenig übrig. Ist Ihnen die warnende Erinnerung daran, wie leicht Juristen sich in den Dienst der Politik stellen lassen, gar unbehaglich?

Vor noch nicht all zu lange Zeit waren die Verantwortlichen – an der Spitze führende Juristen – sogar eher darauf bedacht, die wenigen steinernden Zeugen der Nazi-Justiz zu beseitigen. So hatte anfangs der achtziger Jahre das niedersächsische Justizministerium mit Zustimmung der niedersächsischen Landesregierung den Abriß der Hinrichtungsstätte in Wolfenbüttel beschlossen. Das dort mehr als 600 Todesurteile vollstreckt worden waren, kümmerte ebenso wenig wie die Einzigartigkeit des Gebäudes: Es handelte sich um das einzige ausschließlich für Hinrichtungen vorgesehene Gebäude der NS-Zeit. Alle anderen Hinrichtungsgebäude des Dritten Reiches waren im Zuge der Nachkriegsamnesie beseitigt worden. Nur dem beharrlichen bürgerlichen Widerstand durch wenige Einzelpersonen war es zu verdanken, dass das einzigartige Gebäude in Wolfenbüttel nicht den Verdrängungsbedürfnissen des Hannoveraner Justizministeriums geopfert und schließlich im Jahre 1990 dort eine Gedenkstätte mit einer Ausstellung eingerichtet wurde. An Orten, die der NS-Justiz und der juristischen Zeitgeschichte gewidmet sind, gibt es sonst außer dem ehemaligen Reichsgerichtsgebäude (heute Bundesverwaltungsgericht) in Leipzig mit einer kleinen Ausstellung im Jahr 1996nur die Gedenkstätte Roter Ochse in Halle (seit 2006 mit einer eindrucksvollen neuen Ausstellung) und die kleine Gedenkstätte Münchner Platz in Dresden.