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Überraschungscoup II

Zum Zustandekommen des Beschlusses der Fachkommission vom 9. April 2010

 

In der Sitzung der Fachkommission vom 20. November 2009 – zu einer Zeit, als die Fachkommission sich noch keinen Eindruck von der Ausstellung und ihren Lücken verschafft hatte – hat der Stiftungsgeschäftsführer die Fachkommission dem Gedenkstättenleiter vorbehaltlos das Vertrauen aussprechen lassen und, im gleichen Atemzug, vorgeschlagen, die nächste Sitzung in Wolfenbüttel stattfinden zu lassen, um die Ausstellung zu besichtigen und sich ein Bild von dieser zu machen.

Bei dem Ortstermin vom 9. April 2010 veranlasste der Stiftungsgeschäftsführer die Zustimmung der Fachkommission zum Erfordernis einer „Neukonzeptionierung“ beider Dokumentationsbereiche der Gedenkstätte (Hinrichtungsgebäude und Dauerausstellung). Diese Entscheidung verdeutlichte der Gedenkstättenleiter mit seiner alsbald gegenüber der Wolfenbütteler Zeitung (Ausgabe vom 16.04.2010) abgegebenen Ankündigung: es „sollen die beiden Ausstellungen in der Gedenkstätte bis 2012 neu gestaltet werden“. Schon einen Tag später konkretisierte er die Notwendigkeit einer Neukonzeptionierung der Ausstellung mit der Absicht, man wolle die „insgesamt derzeit noch sehr textlastige Ausstellung medial aufbereiten“.

Bei der Sitzung der Fachkommission am 9. April 2010 war kein Mitglied anwesend, das an der Konzeption und der Erarbeitung der bestehenden Ausstellung beteiligt war. Der Fachkommissionsvorsitzende, Prof. Dr. Perels, der an der bestehenden Ausstellung sowohl in ihrer Konzeption als auch bei ihrer Erarbeitung bis zuletzt maßgeblich und tatkräftig mitgewirkt hatte und Vorsitzender der Kleinen Kommission für die Gedenkstätte ist, konnte wegen schwerer Erkrankung an dieser Sitzung nicht teilnehmen. Auf die Möglichkeit, dass eine grundsätzliche Neugestaltung auch der Hauptausstellung erörtert werden könnte, hatte man ihn nicht einmal schriftlich aufmerksam gemacht.

In jedem Fall hätte der Stiftungsgeschäftsführer die Möglichkeit eines Vorschlags zu einer grundlegenden Änderung der Ausstellung im Vorfeld der Sitzung vom 9. April 2010 ankündigen müssen. In der Tat hatte er in der Sitzung am 20. November 2009 zugesagt, dass im Vorfeld der Sitzung (vom 9. April 2010) zur Vorbereitung der „Diskussion der Planungen und Perspektiven der Gedenkstätte (...) an die Mitglieder der FK entsprechende Unterlagen versandt“ werden sollten. Diese Unterlagen sind nie versandt und von dem damit beauftragten Gedenkstättenleiter wohl auch nie erstellt  worden.

Unter diesen Umständen stellt sich die Frage: Hat der Stiftungsgeschäftsführer die Abwesenheit des einzigen Mitgliedes der Fachkommission, das langjährig und in aktiver Mitwirkung die Konzeption und die Ausstellung selbst engagiert erarbeitet hatte, bewusst genutzt, um die Zustimmung der Fachkommission zu einer Überraschungsentscheidung zu erhalten? Oder hat man Prof. Perels lediglich aus Unbedachtheit übergangen?

Zugleich ist zu fragen: wollte der Stiftungsgeschäftsführer, indem er mit dem Beschluss zu einer grundlegenden Neugestaltung der Ausstellung die Kritik des Dr. Kramer scheinbar gegenstandslos machte, sich der lästigen Pflicht zu einer ernstlichen Auseinandersetzung mit der umfassenden Kritik Dr. Kramers an den zahlreichen Pflichtwidrigkeiten des Gedenkstättenleiters, in einer „Flucht nach vorn“ entziehen? Jedenfalls lässt das Protokoll der Sitzung vom 9. April 2010 wichtige Fragen offen: Wie war es möglich, dass die Fachkommission nach erstmaliger kurzer Besichtigung der Ausstellung nachvollziehbar zu einer derart umstürzenden Entscheidung gekommen ist? Hat niemand beanstandet, dass der Gedenkstättenleiter und der Stiftungsgeschäftsführer die in der Sitzung vom 20. November 2009 angekündigten vorbereitenden Unterlagen nicht versandt hatten? Ist die Frage nach der Aussicht auf eine Aufstockung der für eine neue Ausstellung erforderlichen personellen und sächlichen Ressourcen gestellt worden? So wie die „Neukonzeption“ am 9. April 2010 im Handumdrehen ohne ausreichende Vorbereitung beschlossen worden ist, ist die Entscheidung unausgegoren. Wer in mehr als zehn Jahren nicht einmal die bei der Eröffnung der Ausstellung im Jahr 1999 ausstehenden Nacharbeiten erledigt hat, wird in den zweieinhalb Jahren bis zu seiner Pensionierung (Juli 2012) die von Frau Prof. Marßolek empfohlenen „Korrekturen und Ergänzungen nach dem Modul-Baukasten-Prinzip“ und die weiter notwendigen Arbeiten schwerlich erledigen können.

An der Unausgegorenheit des Vorschlags zu einer Neugestaltung der Ausstellung, ohne konkrete Aussicht auf eine Aufstockung der in Zeiten knapper Haushaltsmittel erforderlichen personellen und sächlichen Ressourcen, ändert sich auch dadurch nichts, dass nach den von Ende Mai 2010 stammenden Empfehlungen des Fachkommissionsmitgliedes Prof. Dr. Inge Marßolek die Absicht einer „Neukonzeptionierung“ relativiert worden ist. Im übrigen bedarf es selbst zur Realisierung dieser Vorschläge einer kompetenten Gedenkstättenleitung. Wer in mehr als zehn Jahren nicht einmal die bei der Eröffnung der Ausstellung 1999 ausstehenden Nacharbeiten, insbesondere die Erstellung von Täterbiografien, erledigt hat, wird in den kurzen drei Jahren bis zu seiner Pensionierung (Juli 2012) schwerlich die von Frau Prof. Marßolek empfohlenen „Korrekturen und Ergänzungen nach dem Modul-Baukastenprinzip“ und die weiter von der Fachkommission auf der Sitzung vom 1./2. Juli 2010 gewünschten Arbeiten erledigen können.

Helmut Kramer
November2010