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Faschismus und Militarismus sind Zwillinge

Faschismus und Militarismus sind Zwillinge

Helmut Kramer

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Ansprache zum 65. Jahrestag des 8. Mai 1945 in Braunschweig

Heute, vor 65 Jahren kapitulierte das faschistische deutsche Regime vor der Anti-Hitler-Koalition. Es war nicht das Ende faschistischer und militaristischer Gesinnung. Noch am 9. Mai 1945 verurteilte ein Wehrmachtsrichter in Norwegen vier junge deutsche Soldaten zum Tode. Sie hatten sich geweigert, gegen die „Bolschewisten“ weiterzukämpfen. Mit jenem Richter habe ich später hier am Braunschweiger Landgericht zusammenarbeiten und an einem Richtertisch sitzen müssen.

Ihm und Tausenden anderer Mörder in der Robe (die amerikanischen Richter sprachen von dem „unter der Robe verborgenen Dolch“) ist nie der Prozess gemacht worden, ebenso wenig wie den meisten anderen Funktionären und Schreibtischtätern des Unrechtsregimes. Kein einziges der 80.000 Todesurteile der NS-Juristen wurde je gesühnt. Warum? Unsere Politiker, aber auch viele Bürger, blieben noch Jahrzehnte dem alten Denken verhaftet. Von Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechten hielten sie wenig.

Was den Faschismus des Dritten Reiches besonders gefährlich machte, bedrohlich für die gesamte Menschheit, war seine enge Verbindung mit dem Militarismus. Erst das ermöglichte den Aufstieg Hitlers und den Vernichtungskrieg der Wehrmacht, dem allein in der Sowjetunion 27 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Deshalb war nach dem 8. Mai 1945 eine der wichtigsten Antithesen zur NS-Diktatur: „Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen.“ Diese Verbindungslinie zwischen Faschismus und Militarismus sollten wir auch heute im Auge behalten. Wir könnten uns ja beruhigt vor die Fernsehgeräte zurücklehnen, wenn es sich bei der Bundeswehr um eine Armee handelte, die allein der Landesverteidigung diente.

Inzwischen wissen wir: Was uns die Politiker jahrzehntelang als reines Friedensinstrument verkauft haben, interveniert weltweit mit immer wieder völlig aus dem Ruder laufenden Militäraktionen. Mit der politischen Destabilisierung von ohnehin schon konfliktreichen staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen. Kriege, die den Hunger und das sonstige Elend in diesen Ländern noch verschlimmern. Dies im Bündnis der Bundesrepublik mit einer waffenstarrenden Großmacht, die vor nichts mehr Halt macht: nicht vor Bombardierungen aufs Geratewohl, bei der sich kaum noch Frauen und Kinder und andere Zivilisten von wirklich oder vermeintlichen Kämpfern unterscheiden lassen. Wissentlich macht sich die Bundesrepublik zum Komplizen einer Großmacht, die systematisch die Menschenrechte verachtet, die Menschen foltert und in Geheimgefängnissen verschwinden lässt.

Zum ersten Mal seit dem Ende des Vernichtungskriegs der Wehrmacht spricht jetzt ein Bundeswehroffizier ganz ungeniert von „vernichten“: Oberst Georg Klein im Zusammenhang mit der Bombardierung einer Menschenmenge, deren genaue Zusammensetzung er nicht kannte, in der er lediglich sog. Taliban vermutete. Wörtlich: er habe diese „Menschen vernichten“ wollen. In seinem Vernichtungswahn entging ihm, dass die Menschenansammlung überwiegend aus friedlichen Männern und Kindern bestand.

Das alles kommt nicht von ungefähr. Die Strukturen in der Bundeswehr haben längst nichts mehr mit dem „Staatsbürger in Uniform“ zu tun, dem früher angepriesenen Vorbild des allein der Landesverteidigung dienenden Soldaten. Zum engeren Beraterkreis der Bundeskanzlerin gehört der Oberst Erich Vad, der jetzt kurz vor der Beförderung zum General steht. Er scheut sich nicht vor engen Kontakten mit rechtslastigen Organisationen, die der „neuen Rechten“ zugerechnet werden. Sein großes Vorbild ist der Jurist Carl Schmitt, der „Kronjurist“ des Dritten Reiches. Oberst Vad beklagt das „negative und verengte Bild von der Wehrmacht, wie es heute vorherrsche“. In den „Ausbildungshilfen“ für die Grundausbildung werden neben Erlebnisberichten aus der Wehrmacht und ihren Vorschriften Drill- und Kampftechniken als vorbildhaft empfohlen.

Nein, der 8. Mai war nicht das Ende militaristischer Gesinnung in der Bundesrepublik.

Zurück zu den Tagen vor 65 Jahren: Damals, am 11. April 1945, hörte ein 14-jähriger Junge in Helmstedt ein lautes Geräusch vor der Haustür. Er holte seinen im Keller versteckten Fotoapparat, trat aus der Haustür heraus und fotografierte den direkt davor stehenden amerikanischen Panzer. In einer ähnlichen Situation in Afghanistan wäre das Kind, das ich damals war, vielleicht gleich erschossen worden.

Faschismus durch die Hintertür

Warum sage ich das alles? Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass manche Gefahren für eine demokratische, humane Gesellschaft heute auch auf verkappte Weise, in subtileren Formen auftreten als in Gestalt von Hakenkreuzen, SS-Runen, Rudolf Heß glorifizierenden und Nazi-Parolen brüllenden Leuten. Deshalb darf der Antifaschismus nicht zum bloßen Ritual erstarren. Gewiss tut es gut und ist auch notwendig, sich immer wieder an den schon äußerlich unverhohlen in Springerstiefeln als Faschisten auftretenden Gruppen zu reiben und sich ihnen in den Weg zu stellen. Doch reicht es nicht aus, unseren Blick auf DIE Faschisten zu fixieren. Über den bekennenden Faschisten dürfen wir nicht die anderen Gefahren übersehen, die dem demokratischen Rechtsstaat drohen und das Grundgesetz zu einer bloß unverbindlichen Formel verblassen lassen.

Damit meine ich auch die vielen Politiker, die dem rechten Rand geistigen Rückhalt geben, wenn sie Ausländern, Hartz IV-Empfängern und andere Minderheiten mit populistischen Parolen diskriminieren. Wenn dann bei der Bundestagswahl 16 % für die Partei der Besserverdienenden stimmen und bekannte deutsche Intellektuelle wie Peter Sloterdyk und Norbert Bolz dazu aufrufen, alle, die sozial nicht mithalten können, abzuschreiben, dann ist die Neue Rechte längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Das uns alle tragende Prinzip ist und bleibt: das Bündnis gegen Rechts bezieht seine Kraft aus der geschichtlichen Rückschau. In dem Aufruf zur Demonstration vor dem Braunschweiger Schloss heißt es dazu: „Wir wollen am 8. Mai den Opfern des Faschismus gedenken, aber auch an diejenigen erinnern und ihnen danken, die gegen den Faschismus gekämpft haben, ob als Soldaten der Alliierten, PartisanInnen oder WiderstandskämpferInnen.“ Ich lese das und frage mich: Fehlt da nicht etwas? Gab es im Dritten Reich nur Opfer und Widerstandskämpfer? Gewiss gibt uns das Gedenken an die Leiden der Opfer und an den Mut der Widerstandskämpfer erst die Kraft weiterzuarbeiten. Sind nicht aber auch die Täter es wert, dass wir uns an sie erinnern? Ihr Opportunismus, ihre Niedertracht sollten der heutigen Generation zur Warnung und Abschreckung dienen.

Diese Warnung kommt nicht von ungefähr. Ich denke an die auch in Demokratien und sich demokratisch verstehenden Gesellschaften grassierende Gefahr des Konformismus, bei Einzelnen, in Gruppen und bei den Massenmedien. Um nur eine Gruppe zu erwähnen, die sich noch immer nicht von einer Mainstream-Mentalität und vom blinden Karrieredenken frei gemacht hat: die Juristen. Im Dritten Reich waren sie es, die das Regime stabilisierten. Sie waren es, die Unrecht als Recht vorgaben und unter Missbrauch des juristischen Handwerkszeugs vor dem Unrecht einer Legalitätsfassade errichteten.

Unrechtsstaat ohne Täter?

Dem Lernen aus der Geschichte dienen auch die der Erinnerung an die faschistische Diktatur gewidmeten Gedenkstätten. Eine solche Gedenkstätte haben wir – neben der Gedenkstätte an unserem heutigen Versammlungsort (Gedenkstätte KZ-Außenlager Schillstraße) – auch in Wolfenbüttel: nämlich die Gedenkstätte für die Opfer der NS-Justiz. Nach ihrer Aufgabe ist sie einzigartig. Sie könnte bundesweite Ausstrahlung haben, nämlich als Zentrale Gedenkstätte zur NS-Justiz. Zugleich mit der Aufgabe, die heutigen Juristen an ihre ganz besondere Verantwortung zu erinnern. In Wolfenbüttel kann man das ehemalige Hinrichtungsgebäude besichtigen. Dort wurden, mitten in der Wolfenbütteler Innenstadt, an die 600 Menschen durch den Scharfrichter umgebracht.

Wer waren aber die wirklichen Täter? Es waren Richter, Staatsanwälte, angesehene Gerichtspräsidenten und reputable Ministerialbeamte, die fast alle noch in demokratischen Zeiten eine ganz normale und bis heute unveränderte Juristenausbildung absolviert hatten. Nachdem man die Gedenkstätte erschüttert verlassen hat, kann man in dem Nebengebäude die Ausstellung der Gedenkstätte besichtigen. Dort erfährt man einiges über die Schicksale der Opfer. Täternamen werden aber nur sparsam genannt. Besonders interessante Täter fehlen: z.B. der Oberstrichter Dr. Hans Meier-Branecke, einer der höchsten Wehrmachtsjuristen, verantwortlich für Hunderte von Todesurteilen, nach dem Krieg als Senatspräsident ranghöchster Strafrichter in Braunschweig. Es fehlt auch Werner Hülle, der Organisator des „Nacht- und Nebel“ - Befehls Hitlers, dem viele in Wolfenbüttel hingerichtete Widerstandskämpfer aus Frankreich und Belgien zum Opfer fielen.

Vergeblich sucht man auch nach verständlichen Informationen über die ebenso perfiden wie raffinierten Methoden, mit denen die NS-Juristen ihre Unrechtsentscheidungen mit dem Schein des Richtigen und Legalen verbrämten. Wie nützlich wäre es, wenn sich vor allem die jungen Juristen mit der Gefahr des Missbrauchs des erlernten juristischen Wissens auseinandersetzen könnten, eingedenk der Versuchungen, die auch heute von der Politik an Richter und Staatsanwälte herangetragen werden!

Obgleich die Ausstellungsräume genügend Platz bieten, fehlen auch viele weitere grundlegende Informationen über die NS-Justiz und ihre Aufarbeitung nach 1945.

Es ist der Gedenkstättenleitung in den letzten 21 Jahren offensichtlich nicht gelungen, die ihr von mir überlassenen reichhaltigen Materialien auszuwerten. Schließlich blieb mir nichts anderes übrig, als an den Geschäftsführer der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten in Celle mit der Bitte heranzutreten, unverzichtbaren Informationen, insbesondere über die Täter etwas mehr Platz einzuräumen. Die wortkarge Antwort wird Sie erstaunen. Ich zitiere: „Der Respekt vor den Opfern gebietet es, an der Primäraufgabe der Gedenkstätte (mit Primäraufgabe ist das Gedenken an die Opfer gemeint – Anmerkung HK) keine Abstriche zu machen.“

Mit anderen Worten: Die Opfer müssen dafür herhalten, um möglichst wenig an die Täter und ihre diabolische Vorgehensweise erinnern zu müssen. So wenig manche ihre Funktion rein technokratisch verstehende Historiker etwas vom Recht und von der raffinierten Juristensprache verstehen, in einem Punkt ähneln sie manchen Juristen: Sie verstehen es, die wahren Absichten zu verschleiern und hinter hohlen Worten zu verstecken, um unbequemen Fragen aus dem Weg zu gehen.

Dabei gehört, neben der Beschäftigung mit der menschenverachtenden Ideologie der Faschisten, die Auseinandersetzung mit den NS-Juristen, jenen Schreibtischtätern par excellence, vielleicht zu dem Lehrreichsten, was die Geschichte des Dritten Reiches zu bieten hat. Wie aktuell die Gefahr ist, dass angeblich allein dem Recht verpflichtete Juristen sich tatsächlich in erster Linie an politischen Vorgaben orientieren, zeigt die in diesen Tagen bekannt gewordene Entscheidung der Bundesanwaltschaft zu dem Massaker bei Kundus.

Nach allen Regeln der Kunst, aber gerade jener höchst zweifelhaften Kunst, Unrecht als Recht auszugeben, ist die Bundesanwaltschaft bei der Verneinung jeglichen Verschuldens des Obersten Georg Klein ausgerechnet den sich besonders aufdrängenden Fragen aus dem Weg gegangen, ein juristischer Skandal, den keines unserer Massenmedien entsprechend kritisiert hat. Einen Unterschied zur NS-Justiz gibt es allerdings: Die Strafverfahren gegen die faschistischen Mörder in der Robe hatten eine abgeschlossene Vergangenheit zum Gegenstand. Bei der Entscheidung der Generalbundesanwältin ging es aber jetzt um die Grundsatzfrage, ob man aufs Geradewohl, etwa aus 8.000 m Höhe, eine nicht genau erkennbare Menschenmenge bombardieren darf. Die Generalbundesanwältin hat einen Freibrief für solche künftigen Kriegsverbrechen ausgestellt.

Denken wir aber auch an das System des menschenfernen, menschenverachtenden Wirtschaftsliberalismus, mit seinem zerstörerischen finanzkapitalistischen System. Unmittelbare Verbindungslinien mit dem Faschismus lassen sich hier nicht erkennen. Und trotzdem werden hier mit allen Konsequenzen Gefahren heraufbeschworen, die zu einer nicht weniger ungeheueren Weltkatastrophe führen können, wie sie der Nationalsozialismus verursacht hat. Die Schreibtischtäter von morgen, ja von heute, sind schon unter uns.

Kurz: Wir müssen unseren Aktionskreis erweitern. Ein Beispiel, um auf den Kampf gegen den Krieg zurückzukommen: Ich freue mich über die vielen Antifaschisten, die an Demonstrationen gegen den Krieg teilnehmen. Doch könnten und müssten es mehr sein. Nötig ist eine bessere Zusammenarbeit der antifaschistischen Gruppen. Die bundesweit mobilisierte Demonstration in Dresden war ein Erfolg. Aber der eine Woche später stattfindenden Demonstration in Berlin gegen den Krieg in Afghanistan hätte ich mehr Teilnehmer gewünscht.

Das alles zeigt: Wir müssen mehr werden, denn für Antifaschisten gibt es viel zu tun, auf vielen Arbeitsfeldern! Die Erinnerung an den 8. Mai, die uns heute hier zusammengeführt hat, gibt uns den nötigen Mut und die Kraft dazu.

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