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Ministerin will unentgeltlichen Rechtsrat freigeben

Ministerin will unentgeltlichen Rechtsrat freigeben

Regierung lockert Anwaltsmonopol

Ministerin will unentgeltlichen Rechtsrat freigeben / Keine Zugeständnisse an Versicherungen

jja. HAMBURG, 21. Mai. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat angekündigt, unentgeltliche Rechtsberatung zu "karitativ-altruistischen" Zwecken freizugeben. Das bisherige Verbot solcher Ratschläge von Nichtjuristen durch das Rechtsberatungsgesetz sei nicht "mit dem Gedanken bürgerschaftlichen Engagements vereinbar", sagte Zypries am Freitag in Hamburg auf dem 55. Deutschen Anwaltstag. Eine völlige Freigabe von außergerichtlichen Rechtsdienstleistungen lehnte sie unter dem Applaus von rund 1000 Anwälten ab. Wer Mandanten vor Gericht vertreten dürfe, solle dagegen nur noch in den jeweiligen Prozeßordnungen geregelt werden.

Der "Schutz der Rechtsuchenden" müsse bei der geplanten Lockerung dadurch gewahrt bleiben, daß Verbände nur durch entsprechend qualifizierte Personen Rechtsrat erteilen dürften, sagte Zypries. Rechtsschutzversicherungen dürften wegen möglicher Interessenkonflikte nicht die Erlaubnis für eine Erstberatung erhalten. "Das muß in den Händen unabhängiger Rechtsanwälte bleiben." Zypries äußerte zudem "persönlich" erhebliche Zweifel daran, daß auch den an Fachhochschulen ausgebildeten Wirtschaftsjuristen die Erteilung von Rechtsrat erlaubt werden solle. Falls dies doch geschehe, müsse aber jedenfalls für Verbraucher deren Unterschied zu Anwälten erkennbar bleiben.

Die Ministerin will vor dem im September stattfindenden Deutschen Juristentag einen Gesetzentwurf zur Liberalisierung des Rechtsberatungsgesetzes vorlegen. Eine Absage erteilte Zypries den Forderungen des Deutschen Anwaltvereins (DAV), die Juristenausbildung neu zu regeln und dadurch indirekt eine Begrenzung des Berufszugangs zu schaffen. Erst kürzlich seien Studium und Referendariat stärker auf den Anwaltsberuf ausgerichtet worden, sagte sie. Dabei habe sich der Bundestag "in voller Kenntnis aller Argumente" gegen die DAV-Vorschläge entschieden. Jetzt müßten die Änderungen erst einmal in die Praxis umgesetzt und deren Chancen genutzt werden.

Der DAV-Präsident Hartmut Kilger forderte dagegen im Beisein der Ministerin die Abschaffung des staatlichen Referendariats, an dessen Ende ein "Einheitsjurist" für alle Berufssparten stehe. Angesichts eines "Sturzbachs" von rund 8000 neuen Anwälten jedes Jahr könnten die Rechtspolitiker mit Änderungen nicht länger warten. "Es ist 12 Uhr – die Zukunft der Anwaltschaft hängt entscheidend von der Lösung dieses Problems ab." Jährlich stünden rund 4000 junge Menschen in einem Lebensalter, in dem eine andere Berufsorientierung nicht mehr möglich sei, vor einem Scherbenhaufen. Denn bei diesem massenhaften Zugang zum Beratungsmarkt würden sie mangels anderer Berufsperspektiven "Zwangsanwalt" oder "Scheinrechtsanwalt", warnte Kilger; Tausende von ihnen hätten bereits jetzt mit dieser Tätigkeit keine Chance zum Überleben.

Der Anwaltsverband fordert statt dessen, daß sich künftig jeder Absolvent bereits nach dem Ersten Juraexamen entscheiden muß, ob er später Anwalt werden will. In diesem Fall müsse er – wie dies bei Steuerberatern längst ohne verfassungsrechtliche Bedenken üblich sei – einen Anwalt finden, der ihm einen Ausbildungsplatz biete. Das führe zu einer wünschenswerten "Zugangssteuerung über den Markt", sagte Kilger. Denn bei sinkendem Mandatsaufkommen gebe es dann weniger Ausbildungsplätze und damit weniger Nachwuchs.

Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.05.2004, Nr. 118 / Seite 11