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WDR3 16.04.06 TagesZeichen

Helmut Kramer: Furchtbare Juristen

Westdeutscher Rundfunk, WDR 3,
Sendung TagesZeichen vom 16. April 2007

Es geht nicht nur darum, dass Filbinger sich in die kriegsverlängernde Mordmaschinerie der Wehrmachtsjustiz hat einspannen lassen. Disqualifiziert hat er sich auch durch die Selbstgerechtigkeit, mit der er sich zu dieser Mitwirkung stellte, und durch den Ausspruch „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein“. Uneinsichtig zeigte sich Filbinger auch sonst. Er stilisierte sich zu einem heimlichen Widerstandskämpfer und stellte sich als Opfer einer „gelenkten Rufmordkampagne“ hin. Mit der formal korrekten Behauptung, es gebe kein einziges Urteil von ihm, durch das ein Mensch sein Leben verloren habe, versuchte Filbinger darüber hinweg zu täuschen, dass er die Todesurteile als Ankläger erwirkt hatte. Ein Staatsanwalt, der ein ungerechtes Todesurteil gefordert und damit das Gericht in Zugzwang gebracht hat, kann nicht seine Hände in Unschuld waschen und die Verantwortung für den Totschlag auf das Gericht abschieben.

Günther Oettinger hat gesagt: „Hans Filbinger war kein Nationalsozialist. Im Gegenteil: Er war ein Gegner des NS-Regimes.“ Es ist müßig, darüber zu streiten, ob Filbinger im Innern ein Anhänger Hitlers war. Auch kann dahinstehen, ob Hans Filbinger allein aus Opportunismus und Karrieregründen der SA beigetreten ist und ob er den Nationalsozialisten nur nach dem Munde reden wollte, wenn er im Jahre 1935 in einer Studentenzeitschrift von „Blutsgemeinschaft“, „Schädlingen am Volksganzen“ und „rassisch wertvollen Teilen des deutschen Volkes“ sprach. Wenn er tatsächlich die NS-Ideologie durchschaut hatte, war dies um so schlimmer. Denn dann hätte er sich in Widerspruch zu seiner Überzeugung in den Dienst des Unrechtstaates gestellt. Traditionell funktionierten die deutschen Richter in der Lebenslüge des Obrigkeitsstaates, völlig frei zu sein von weltanschaulichen Gesichtspunkten zu urteilen. In seinem vorauseilenden Gehorsam bedurfte ein Hans Filbinger auch keiner Weisungen von oben.

Man wird die Geschichtslüge nicht allein dem Ministerpräsidenten Günther Oettinger zur Last legen dürfen. Durch besondere Geschichtskenntnisse hat Oettinger sich noch nie hervorgetan. Doch ein Ministerpräsident hat Berater - und dem Vernehmen nach hat Günther Oettinger sich zum Fall Filbinger ausführlich beraten lassen. Wenn sich dabei die Geschichtsleugner durchgesetzt und Günther Oettinger grünes Licht zur Verherrlichung eines Handlangers des Naziregimes erteilt haben, kennzeichnet dies die Rückwärtsgewandtheit insbesondere der Juristen in manchen Staatskanzleien und Ministerien. Dort ist es weithin noch immer unerwünscht, dass darüber aufgeklärt wird, dass ein Unrechtsstaat wie der nationalsozialistische sich ohne die Zuarbeit von Tausenden von Funktionären nicht lange hätte halten können. Insbesondere Mainstreamjuristen wie Filbinger waren es, die mit Hilfe der erlernten juristischen Techniken eine Legalitätsfassade vor dem Terror errichteten. Kritisch denkende Juristen mit Zivilcourage sind aber noch heute höheren Orts ungern gesehen. Wenn in der politischen Bildung eines Landes wie Baden-Württemberg die Aufklärung über die Mitwirkung der Beamten und Richter am NS-Regime einen geringen Stellenwert hat, ist dies kein Zufall.

Die Taten Hans Filbingers sind schrecklich genug. Um die Lobesworte Günther Oettingers zu widerlegen, bedarf es keiner Spekulationen darüber, was in den übrigen inzwischen vernichteten Akten von unter Mitwirkung von Hans Filbinger geführten Prozessen sonst noch steht. Und so bleibt Rolf Hochhuths Feststellung, dass Hans Filbinger zu den „Furchtbaren Juristen“ gezählt werden muss, weiterhin richtig. Verhängnisvoll wäre nur die Vorstellung, es handele sich hier um einen einzigartigen Fall, der die anderen Justizmorde der Wehrmachtskriegsgerichtsbarkeit in den Schatten stelle. Braucht man sich angesichts des Falles Filbinger mit dem Anpassertum der meisten anderen Wehrmachtrichter nicht näher zu beschäftigen? Erübrigt sich – etwa mit dem Blick auf willfährige Militärjuristen der USA – auch das Nachdenken über eine bis heute fortbestehende Anfälligkeit von Juristen, sich im Dienst rechtsfremder Interessen instrumentalisieren zu lassen? Das NS-Regime hätte sich nicht lange behaupten können, wenn es nach Hitlers Machtantritt das gegeben hätte, worauf der demokratische Rechtsstaat dringend angewiesen ist: Juristen mit Zivilcourage.

Die Sendung kann hier auch gehört werden. Sie benötigen dazu den RealPlayer