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Schreiben an Sek. d. Rechtsausschusses

Dr. Helmut Kramer38302 WolfenbüttelHerrenbreite 18a

 

 

An das
Sekretariat des Rechtsausschusses
Deutscher Bundestag

Wolfenbüttel, 22. Oktober 2008



Sehr geehrte Damen und Herren,

als Sachverständiger des Rechtsausschusses in der Sitzung vom 5. Mai 2008 halte ich es aufgrund zwischenzeitlicher Ermittlungen für angezeigt, den Mitgliedern des Rechtsausschusses in Ergänzung meiner schriftlich und mündlich vorgetragenen Stellungnahme Folgendes mitzuteilen:

Als konkrete Beispiele, mit denen er die Unangemessenheit einer Rehabilitierung der sog. Kriegsverräter belegen möchte, hat der Sachverständige Professor Dr. Rolf-Dieter Müller zwei Beispiele von gerechtfertigten, weil wegen seiner Ansicht nach verwerflichen Kriegsverrats ergangenen Urteilen angeführt:

1. Das Urteil des Reichskriegsgerichts gegen General Feuchtinger

Schon in meiner schriftlichen Stellungnahme zum 5. Mai 2008 (S. 35) hatte ich erhebliche Zweifel an der Beweiskraft dieses Falles angemeldet. Was nämlich auch einem juristisch nicht vorgebildeten Historiker hätte einleuchten müssen: eine Freundin, der man vertraulich etwas mitteilt, ist kein Feind im Sinne des § 57 Mil.StrG. Inzwischen steht als Ergebnis einer Anfrage des Unterzeichneten an Herrn Professor Müller und der daraufhin von mir angestellten Recherchen fest: Es gibt kein auf Kriegsverrat gestütztes Todesurteil gegen General Feuchtinger. Professor Müller hat sein – leider Öffnet einen externen Link in einem neuen Fensterauch von der Zeitschrift DER SPIEGEL Nr. 18 v. 28.4.2008 übernommenes – Paradebeispiel frei erfunden. Aus den von ihm schließlich selbst genannten Quellen ergibt sich keinerlei Hinweis auf ein auf den Tatbestand des Kriegsverrats gestütztes Urteil. Das Urteil gegen Feuchtinger selbst existiert nicht mehr. Aus den von Professor Müller angegebenen Quellen (Zeugen vom Hörensagen) ergibt sich aber das Gegenteil des Behaupteten. Danach ist der General nicht wegen Kriegsverrats, sondern wegen Wehrkraftzersetzung (§ 5 Abs. 1 KSSVO) verurteilt worden, unter anderem deshalb, weil er sich zu Beginn der Invasion (6. Juni 1944) pflichtwidrig bei seiner Freundin in Paris aufgehalten hatte. Das ergibt sich aus dem von Professor Müller benutzten Buch seines Kollegen Professor Neitzel (dort S. 443) und dem bekannten Buch von Otto Peter Schweling, Die deutsche Militärjustiz im Zweiten Weltkrieg, Marburg 1977, S.201. Der „besonders krasse Fall“ von Kriegsverrat hat allein in der Phantasie des Sachverständigen Müller existiert. Der von Müller für den Fall einer Rehabilitierung Feuchtingers befürchtete „Skandal“ (vgl. Protokoll der mündlichen Anhörung vom 5. Mai 2008) kann nicht eintreten. Übrigens ist das Urteil gegen Feuchtinger vom Deutschen Bundestag längst aufgehoben worden (Unrechtsaufhebungsgesetz vom 25.8.1998).


2. Der Fall des Feldwebels B.

Meine schriftliche Stellungnahme zum 5. Mai 2008, S. 34 kann ich nach weiteren Recherchen wie folgt ergänzen:

Auch hier kann Professor Müller die Urteile nicht vorlegen. Nach der mündlichen Schilderung Müllers am 5. Mai 2008 (Öffnet einen externen Link in einem neuen FensterProtokoll der Sitzung vom 5. Mai 2008, S. 12 ff) spricht alles dafür, dass auch in diesem Fall kein auf Kriegsverrat gestütztes Urteil ergangen ist. Allenfalls hat die (erste) Anklage gegen B. auf Kriegsverrat und Desertion gelautet. Zu einem späteren Zeitpunkt ist B. nach der eigenen Darstellung Müllers allein wegen Desertion verurteilt worden. Wegen Fahnenflucht ergangene Urteile sind schon durch das Unrechtsaufhebungsänderungsgesetz vom 23. Juli 2002 aufgehoben worden.

Auch alle übrigen Aussagen des Gutachtens von Professor Müller haben mit der Fragestellung des Rechtsausschusses nichts zu tun. Das gilt auch für die von Müller vorgetragenen sieben Fälle am Ende seines Gutachtens. Keines der kriegsgerichtlichen Verfahren in diesen Fällen wurde auf § 57 Mil.StrG gestützt. Auch hier mußte Professor Müller auf meine Anfragen passen.

Der Sachverständige Neitzel konnte von vornherein keine einzige kriegsgerichtliche Verurteilung wegen Kriegsverrat anführen. Sein Gutachten enthält diesbezüglich lediglich eine Reihe nicht belegter und nicht belegbarer spekulativer Aussagen. Ob zum Gegner übergelaufene deutsche Soldaten im Sinne einer raschen Kriegsbeendigung Frontstellungen verraten haben, ist für sich allein völlig unerheblich. Gefragt hatte der Rechtsausschuss nach Urteilen wegen Kriegsverrats. Die Sachverständigen Müller und Neitzel konnten kein einziges solches Urteil nachweisen.

Eine Kopie meines Schriftwechsels mit Herrn Professor Müller nebst von Herrn Professor Müller in Bezug genommenen Dokumenten sende ich gesondert per Fax.

Mit freundlichen Grüßen

Helmut Kramer