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Stellungnahme zum RDG

61. Sitzung des Rechtsausschusses des 16. Deutschen Bundestages
am 09. Mai 2007
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts
BT-Drucksache 16/3655

Stellungnahmen des Sachverständigen Helmut Kramer:

Dr. Helmut KramerRichter am Oberlandesgericht a.D.            Wolfenbüttel, 06.05.2007

Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts
(Rechtdienstleistungsgesetz – RDG)

I.        Zur Vorgeschichte des Gesetzgebungsvorhabens

Die Neugestaltung des Rechtsberatungsbereichs hätte eine gründliche Auseinandersetzung mit der Entstehungsgeschichte des Rechtsberatungsgesetzes (RBerG) und seiner Nachkriegsgeschichte erfordert. Diese Geschichte wird in der Begründung des Gesetzentwurfs (S. 26 Bundestagsdrucksache 16/3655) nur flüchtig gestreift, unter Auslassung wesentlicher Momente:

a) Neben dem Bestreben, jüdische und andere missliebige Juristen auszugrenzen, spielten – ähnlich wie unausgesprochen heute – arbeitsmarktpolitische Gründe eine Rolle. Durch Pflege des Stellenmarkts wollten sich die Machthaber der Anwaltschaft andienen.

b)  Verschwiegen wird auch, dass nach dem Ende des NS-Regimes nicht nur „vergessen“ wurde, das RBerG komplett aufzuheben und den bis dahin bestehenden Rechtszustand ungeschmälert wiederherzustellen, sondern auch versäumt wurde, die sozialen Verbände endlich wieder in den Rechtsstatus einzusetzen, der ihnen im Jahr 1935 zugunsten der NS-Organisationen geraubt worden ist, gewissermaßen eine juristische Raubgold-Affäre (vgl. Helmut Kramer, in: Betrifft Justiz 2004, S. 238 ff; ders. In: Theorie und Praxis der sozialen Arbeit, Heft 4/2004, S. 4 ff).

c) Unerwähnt bleibt auch, dass die selbst nach dem NS-Gesetz von 1935 mögliche Erteilung einer Erlaubnis zur unentgeltlichen Rechtsberatung an sachkundige Bürger mittels eines unauffälligen, den meisten Bundestagsabgeordneten wohl verborgen gebliebenen Gesetzestricks im Jahre 1980 völlig beseitigt worden ist, in Verschlimm­besserung eines nationalsozialistischen Gesetzes. Erst damals hat man das bis 1980 bestehende Verbot mit Erlaubnisvorbehalt in ein absolutes Verbot für alle altruistischen Helfer umgewandelt.

d) Unterschlagen wird weiter, dass in der ehemaligen DDR das NS-Gesetz mit dem Verbot der altruistischen Rechtsberatung völlig aufgehoben und nur die kommerzielle, entgeltliche Rechtsberatung den Rechtsanwälten vorbehalten war. Erst der Wiedervereinigungsvertrag von 1990 hat das Verbot des Altruismus auf den Osten erstreckt, in einer unauffälligen Passage. Das Eingeständnis der Einschränkung von Grundrechten der neuen Bundesbürger hätte sich rechtspolitisch auch schlecht ausgenommen. Deshalb hielten das Bundesjustizministerium und die Anwaltskammern es auch nicht für nötig, fürsorglich die Bürger in Ostdeutschland auf die nunmehr gesamtdeutsche Rechtslage aufmerksam zu machen.

e) Zur Bewertung der für die altruistische Rechtsberatung jetzt vorgeschlagenen Lösung hätte auch Erwähnung verdient, dass anfangs allein der Skandal des weltweit einzigartigen Verbots der altruistischen Rechtsberatung den Anstoß zu der Gesetzesreform gegeben hatte: Aufgestört durch empörende Gerichtsurteile hatte die damalige Rot-Grüne Regierungskoalition in ihrer Koalitionsvereinbarung vom Oktober 2002 die Aufhebung des RBerG und noch im Frühjahr 2005 die komplette Freigabe des Verbots in Aussicht gestellt. Erst in dem Diskussionsentwurf vom Herbst 2005, aber noch vor dem Wechsel zu einer Schwarz-Roten Koalition, kam es zu dem Rückfall, nämlich zu der Beibehaltung des grundsätzlichen Verbots der altruistischen Rechtsberatung, lediglich mit der Ausnahme wirtschaftlicher, nachbarschaftlicher und ähnlicher Beziehungen zwischen Berater und Beratendem. – Anlässlich der Arbeit an der Neuregelung der altruistischen Rechtsberatung hat man den Regelungsbedarf auch hinsichtlich der kommerziellen Rechtsbesorgung erkannt.

 
Unter diesen Umständen ist es unerfindlich, wieso mit dem RDG für den Bereich der altruistischen Rechtsberatung eine „grundlegende Abkehr“ von dem historisch belasteten RBerG erfolgt sein soll (S. 26 der Begründung des RDG).

 

II.       Zur Regelung der altruistischen Rechtsberatung

  1. Gegenstand dieses Gutachtens ist vor allem die Regelung der unentgeltlichen Rechtsberatung. Die vorgesehene Normierung der gewerblichen Rechtsberatung erscheint im Grundsatz sinnvoll. Hier wird schon das Kräfteverhältnis der im Bundestag ausreichend vertretenen Verbände für die ggf. noch erforderliche Ausbalancierung sorgen, im Unterschied zur altruistischen Rechtsberatung zugunsten der besonders hilfsbedürftigen sozial Schwachen, hinter denen keinerlei Lobby steht, inzwischen auch keine der vier größeren Fraktionen des Bundestages, nachdem auch die Fraktionen der SPD und der Grünen ihr früheres Engagement für die am Rande der Gesellschaft Stehenden aufgegeben haben.

  2. Allerdings ist der Gesetzentwurf nebst Begründung (in der Schreibmaschinenfassung 224 Seiten!) ein nur wenigen Spezialisten erschließbares Monstrum, nicht gerade im Sinne der sonst propagierten Gesetzesvereinfachung und eines Bürokratieabbaus. Manche Rechtsanwälte mögen das begrüßen, nämlich als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Juristen. Einige in dem Gesetz nicht berücksichtigte Berufsgruppen werden versuchen, Beratungsbefugnisse einzuklagen. Vor allem die notwendige Präzisierung bei der Abgrenzung der einzelnen miteinander konkurrierenden gewerblichen Gruppen untereinander und die Interpretation zahlreicher schwammiger, auslegungsbedürftiger unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklauseln wird eine Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten auslösen und die Gerichte zusätzlich belasten.

  3. Welcher einzelne Bürger welchem anderen Bürger in Rechtsdingen zur Seite stehen darf, erschließt sich nur dem geübten Juristenblick. Vollmundig heißt es zunächst: „Rechtsdienstleistungen, die nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit stehen (unentgeltliche Rechtsdienstleistungen), sind erlaubt“ (§ I RDG). Was so als grundsätzliche Freigabe der altruistischen Rechtsberatung ausgegeben wird, erweist sich bei näherer Prüfung als – eine mildere Bezeichnung ist schwer zu finden – eine Mogelpackung:

    Wer unentgeltliche Rechtsdienstleistungen außerhalb familiärer, nachbarschaftlicher oder ähnlich enger persönlicher Beziehung erbringt, muss sicherstellen, dass die Rechtsdienstleistung durch eine Person, der auch die entgeltliche Erbringung dieser Rechtsdienstleistung erlaubt ist, durch eine Person mit Befähigung zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz oder unter Anleitung und Aufsicht einer solchen Person erfolgt“ (§ 6 Abs. 2 RDG).

    Ein ehrlicher, auf Klarheit bedachter Gesetzgeber hätte so formuliert:

    „Die unentgeltliche Rechtsberatung (Rechtsdienstleistung) ist mit folgenden Ausnahmen grundsätzlich verboten:


    1. Sie erfolgt innerhalb familiärer, nachbarschaftlicher oder ähnlich enger persönlicher Beziehung
    2. Sie erfolgt durch eine Person mit Befähigung zum Richteramt oder unter Anleitung und Aufsicht einer solchen Person“

    So aber hat der Gesetzentwurf das Verhältnis von Regel und Ausnahme auf den Kopf gestellt, ein Meisterstück verschleiernder Juristenkunst.

 

III.      Die im Dunkeln sieht man nicht

Mit der vorgesehenen Regelung werden die allermeisten Bürger von der altruistischen Rechtsberatung ausgeschlossen. In der modernen Gesellschaft ist es keineswegs die Regel, dass jemand im Nahbereich, also unter seinen Verwandten oder dem Nachbar- und Freundeskreis einen sachkundigen Helfer findet. In einer immer mehr zur Segregation der sozial Schwachen neigenden Gesellschaft gibt es immer mehr alleinstehende Menschen oder vereinsamte Familien, die keine hilfsbereiten Nachbarn kennen, auch arbeitslose Hartz IV-Empfänger, die den Kontakt zu ihren früheren Kollegen verloren und nicht die Beziehungen und die Mittel haben, z.B. dem Rotary-Club mit seinen vielen rechtskundigen Mitgliedern anzugehören. Ihnen allen, den Allerschwächsten der Gesellschaft, bleibt es verwehrt, sich unentgeltlich von Mitbürgern beraten zu lassen. Man merkt diesem Teil des Gesetzentwurfs an, dass er unter dem bestimmenden Einfluss von Juristen gestanden hat, denen es an einem Einblick in die Lebensverhältnisse und Bedürfnisse der breiten Bevölkerungsschichten fehlt. Oder sind es gar unterschwellige Ressentiments gegenüber allen der eigenen Welt nicht Zugehörigen, eine Fremdenfeindlichkeit in weiterem Sinn, was die Ausgrenzung der besonders Hilfsbedürftigen erklärt?

Es fehlt auch jegliche Begründung für die Diskriminierung der über keinerlei Beziehungen zu rechtskundigen Nachbarn verfügenden Rechtssuchenden gegenüber den Rechtsuchenden, die einen Nachbarn oder Freund in ihrer Nähe wissen. Die Entwurfsverfasser bleiben den Nachweis schuldig, dass der Rechtsrat des Nachbarn per se besser sei als etwa der einer ehemaligen Verwaltungsangestellten, die ihren Mitmenschen aus altruistischer Gesinnung Ratschläge in einem ihr bekannten Rechtsgebiet erteilt. Einen Unterschied gibt es allerdings: Die wirtschaftlich gut Gestellten und in der Gesellschaft Integrierten sind auf solche Hilfen weniger angewiesen. Das Recht ist aber für alle da, nicht für die Starken.
 

IV.     Das Verbot als Waffe gegen die Rechtssuchenden

Von einem modernen Gesetzgeber darf man erwarten, dass er die Notwendigkeit einer Normierung, gar mit einem schwerwiegenden Eingriff in Grundrechte, auf empirischer Grundlage belegt. Die dem Verbraucher aus altruistischer Rechtsberatung angeblich drohenden immensen Gefahren stützt die Entwurfsbegründung aber allein auf abstrakte hypothetische Annahmen juristischer Alltagstheorien. Es fehlt an jedem Anschauungsbeispiel aus der Rechtsprechung oder dem den Rechtsanwaltskammern vorliegenden Material dafür, dass jemals Bürgern aus einer solchen Beratung schwerwiegende rechtliche Nachteile erwachsen wären. Verschwiegen wird auch, dass die in allen anderen Staaten der Welt erlaubte unentgeltliche Rechtsberatung nirgendwo zu nennenswerten Missständen geführt und dass irgendwo außerhalb von Deutschland ein Verbot erwogen worden wäre. Ebenso unterdrückt die Gesetzesbegründung – und hier muss man leider sagen: bewusst – die Frage, inwieweit das bestehende Verbot der altruistischen Rechtsberatung sich zur Erreichung des vorgeblichen Zwecks, die Rechtsuchenden vor Nachteilen zu schützen, kontraproduktiv, nämlich als Erschwernis der Rechtsverwirklichung erwiesen hat.

Die Rechtspraxis zeigt: anstelle den Bürger vor nachteiligen Rechtsfolgen zu bewahren, erschwert es die Durchsetzung von Rechten, insbesondere sozialer Rechte. In den allermeisten Anwendungsfällen ist das Verbot sogar ausschließlich als Waffe gegen die Rechtsuchenden missbraucht worden, in der Regel gegen sozial schlecht Gestellte. Die meisten bisherigen Ordnungswidrigkeitenverfahren und sonstige Verfahren wegen altruistischer Beratung gehen bezeichnender Weise auf Anzeigen von Behörden zurück, die zu Unrecht Sozialleistungen sparen, Rechtsschutz suchende Flüchtlinge von ihren altruistischen Beratern trennen wollten oder sonst bei Unregelmäßigkeiten ertappt worden sind. Mit­arbeitern von Kirchengemeinden wurde verboten, sozialhilfeberechtigten Flüchtlingen zur Seite zu stehen. Eingeschritten wurde auch gegen die Hilfe bei der Formulierung von Anträgen auf Gewährung des Bleiberechts. Ausländerbehörden schrecken nicht einmal vor der Androhung zurück, traumatisierte Folteropfer wegen der ihnen von einer gemeinnützigen, europaweit anerkannten Vereinigung gewährten rechtlichen Hilfestellung vor die Kriminalpolizei zu laden. In all diesen Fällen sind es die sozial Schwächeren, die zu Opfern des Verbots gemacht werden (weitere Beispiele unter <link zur-reformbeduerftigkeit-desrberg.47.0.html>www.kramerwf.de/Zur-Reformbeduerftigkeit-desRBerG.47.0.html (Text: Zur Reformbedürftigkeit des Rechtsberatungsgesetzes vom 13.12.1935. Kritik der Praxis und Fallbeispiele). Alles andere als dem Schutz der Verbraucher vor unseriöser Rechtswahrnehmung dient auch ein anderer beliebter Advokatentrick. Bei ihm bedienen sich die Anwälte einer Art juristischer Kettenreaktion. Mit dem Verbot der Rechtsberatung, auch der altruistischen Rechtsberatung, kombinieren sie eine Gesetzesbestimmung, die für ursprünglich ganz andere Fälle gedacht war. Nach § 134 BGB sind nämlich alle Rechtsgeschäfte, z.B. Verträge oder Testamente ungültig, die, sei es auch nur beiläufig, unter Verstoß gegen irgendein Gesetz zustande gekommen sind. Um nur ein einziges Anwendungsbeispiel zu nennen: Erfährt ein Erbschleicher davon, dass ein ihn nicht berücksichtigendes Testament unter Beratung durch einen altruistischen Helfer zustande gekommen ist, kann er mit Hilfe seines Anwalts das so kontaminierte Testament oder die Einsetzung eines Testamentsvollstreckers für nichtig erklären lassen (vgl. Urteil OLG Düsseldorf v. 30.5.2000, in: EwiR Art. 1, § 1 RBerG 7/2000). Auch in vielen anderen Fällen ist einer bis dahin stets erfolgreichen Klage in der dritten Instanz – vor dem Bundesgerichtshof - rückwirkend der Boden entzogen worden, weil ein Rechtsanwalt ein „Haar in der Suppe“ (§ 134 BGB in Verbindung mit § 1 RBerG) entdeckt hat. Lässt sich das Hindernis nachträglich z. B. durch eine neue Vollmacht (anstelle der Vollmacht für den bislang für den Kläger tätigen Helfer) beseitigen, beginnt der Prozess oftmals von neuem, gelegentlich wieder durch alle Instanzen. Mit dem Schutzzweck des Verbots der Rechtsberatung „Reibungslosigkeit der Rechtspflege“ (siehe weiter unten) hat das nichts zu tun. Beliebt in zivilrechtlichen Streitigkeiten ist auch die Methode, dass der Anwalt des von dem Helfer eines Anspruchsberechtigten mit einer auf das RBerG in Verbindung mit dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) gestützten Klage gegen den Helfer kontert, anstelle auf die Sache einzugehen. Mit den meist erfolgreichen Unterlassungsklagen verschaffen dubiose Rechtsanwälte sich eine beachtliche Einnahmequelle. Die nach dem von den Gerichten regelmäßig festgesetzten Streitwert von 15.000 € in zwei Instanzen anfallenden Kosten belaufen sich auf fast 10.000 € (zu diesem Missbrauch des RBerG und des UWG siehe weiter unten). In der langatmigen Gesetzesbegründung findet sich von all dem kein Wort. Verschwiegen wird, dass mit dem Verbot der altruistischen Rechtsberatung nicht der Schutz des rechtsuchenden Bürgers, sondern stets das Gegenteil bewirkt wird.

 

V.        Die Benachteiligung kleiner karitativer Vereinigungen

Von dem im RDG aufrecht erhaltenen Verbot betroffen sind nicht nur einzelne Bürger, sondern auch viele kleinere und mittelgroße uneigennützig arbeitende Vereinigungen. Nicht einmal für eine mit dem Schwerpunkt Sozialarbeit dürfen Hilfsbedürftige beraten, nicht einmal ihre eigenen Mitglieder. Alle Vereine müssen nämlich sicherstellen, dass die Beratung durch einen Volljuristen oder unter Anleitung und Aufsicht durch einen Volljuristen erfolgt. Im Unterschied zu den großen karitativen Vereinigungen können sich kleine und mittelgroße Vereine die Einstellung und Besoldung von Volljuristen nicht leisten. Für sie läuft die Regelung auf ein absolutes Verbot der altruistischen Beratung hinaus. Dabei sind kleinere altruistisch tätige Vereine insbesondere für die Stadtteilarbeit unentbehrlich, um auch an die Angehörigen gesellschaftlicher Randgruppen mit ihrer Scheu vor den großen Institutionen heranzukommen. Ähnliches gilt für Selbsthilfegruppen, wie z. B. die Vereinigung von Medizinschadensopfern.

Aber auch den großen karitativen Vereinigungen sollte man die Entscheidung darüber überlassen, bei wem nach der Art ihrer Klientel die Beratung bzw. Anleitung der Rechtsberatung besser aufgehoben ist: bei Volljuristen, in deren Ausbildung die sozialen und sozialwissenschaftlichen Kenntnisse und Zusammenhänge keinen Platz haben oder z. B. bei Sozialarbeitern mit juristischer Vorbildung und Erfahrung. Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe bieten keinen ausreichenden Ersatz.

Das in der Auswirkung vor allem gegen die wirtschaftlich Schwachen gerichtete Verbot, für die die anwaltlichen Gebührensätze unerschwinglich sind, wird durch die Möglichkeit der Beratungshilfe und der Prozesskostenhilfe nicht kompensiert. Um einen Anreiz für einen zur gründlichen und engagierten Arbeit bereiten Rechtsanwalt zu bieten, ist die selten kostendeckende Gebührenerstattung zu gering. Neuerdings soll die Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe sogar zusätzlich erschwert werden. Die besonderen persönlichen Schwierigkeiten des betroffenen Personenkreises machen die Befassung mit dieser Klientel für einen Rechtsanwalt zusätzlich unattraktiv. Es handelt sich oft um die deutsche Sprache nur schlechtbeherrschende Ausländer, Drogensüchtige, Wohnungslose, psychisch Kranke. Gelegentlich finden sich zwar Rechtsanwälte, die entsprechende Mandate zu den Gebührensätzen der Beratungshilfe oder Prozesskostenhilfe übernehmen, aber eine fachlich unzulängliche Arbeit verrichten. Unter Hinweis auf das im Sozialverwaltungsverfahren geltende Amtsermittlungsprinzip wird oftmals lediglich eine vier- oder fünf Zeilen umfassende Begründung der erhobenen Klage   oder des Widerspruchs angefertigt. Eine weitere Einarbeitung in die schwierige und wenig vertraute Materie des Sozialrechts erfolgt nicht. Auch hier gehören die auf soziale Hilfe Angewiesenen zu den Verlierern bei der Verteilung der knappen „Ressource Recht“.

 

VI.          Qualitätsdefizite der Anwaltspraxis

Die altruistische Rechtsberatung darf nicht isoliert betrachtet werden. Zu einer abschließenden Beurteilung muss sie in den Rahmen der anderen vorhandenen Beratungsmöglichkeiten für sozial Schwache gestellt werden, insbesondere zu der Beratung durch die Anwaltschaft und zu der Beratungsqualität, die die Rechtsuchenden, insbesondere bei für den Anwalt weniger attraktiven Mandaten, vom Anwalt erwarten können.

Während die Gesetzesbegründung ohne ausreichende empirische Belege, gestützt nur auf eine abstrakte Hypothese, die angeblich immensen Gefahren der altruistischen Beratung beschwört, zeichnet sie ohne Blick auf die Anwaltswirklichkeit ein hehres Bild von der Praxis eines Berufsstandes, dessen Angehörige sämtlich bestens ausgebildet sind, stets nur die Belange des Mandanten im Auge haben und alle übernommenen Fälle unabhängig davon, ob „es sich rechnet“ mit der gleichen Sorgfalt bearbeiten. Die Frage nach gewissen Defiziten der anwaltlichen Beratung, wie sie weniger bei der Tätigkeit der auf große Wirtschaftsprozesse spezialisierten Anwälte als bei der Beratung wirtschaftlich schwacher Bürger auftreten, gilt der organisierten Anwaltschaft zwar als unfein. Unzweifelhaft gibt es aber gerade unter den sog. „Allgemeinanwälten“ zwar noch immer viele Kollegen, die ihren Beruf nicht als bloßes Gewerbe betrachten, sondern sich auch um gebührenmäßig weniger interessante Fälle kümmern, auch aufopferungsvoll sich für mehr Gerechtigkeit und gesellschaftliche Randgruppen einsetzen und sich um soziale Belange, die Durchsetzung der Menschenrechte und des Völkerrechts kümmern. Für viele andere Rechtsanwälte aber gilt, was der renommierte Rechtsanwalt Professor Dr. Friedrich Graf von Westphalen, Köln, ohne Widerspruch festgestellt hat: „Die Dunkelziffer anwaltlicher Pflichtverletzungen ist mit Sicherheit sehr hoch“ (AnwaltsBl. 11/2005, S. 685). Trotzdem haben die den Universitäten angegliederten, von der organisierten Rechts­anwaltschaft mitfinanzierten Institute für Anwaltsrecht es belang nicht für nötig gehalten, eine längst fällige empirische Untersuchung über Fehlleistungen im Anwaltsbetrieb durchzuführen. Indessen wissen allzu viele Bürger aus leidvoller Erfahrung, und viele Richter können das bestätigen, dass nicht jeder Rechtsanwalt nur das Wohl des Mandanten im Auge hat. Die Skala reicht von folgenreichen bloßen Nachlässigkeiten und groben Unredlichkeiten bis hin zur Veruntreuung von Mandantengeldern durch Entnahme aus sog. Anderkonten.

 

VII.      Die unzulängliche Standesaufsicht

Wer mit übergroßer Fürsorge bevormundend dem Bürger eine Beratungsmöglichkeit – sogar ein unentgeltliches Hilfsangebot – nimmt, muss zumindest seiner ohnehin selbstverständlichen Pflicht zur ausreichenden Qualitätssicherung der anwaltlichen Beratung nachkommen. Mit Ausnahme besonders schwerwiegender Fälle, insbesondere strafrechtlich relevante Fallgestaltungen, bleiben die die Standesaufsicht über die Rechtsanwälte ausübenden Rechtsanwaltskammern aber durchweg untätig. Zwar kommen die Anwaltskammern z.B. bei nachgewiesener Veruntreuung von Mandantengeldern um ein Einschreiten nicht herum. Auch rügen sie, wenn ein Kammermitglied die Kammerbeiträge nicht zahlt oder Schreiben der Kammer nicht beantwortet. Aber selbst wenn ein nachlässiger Anwalt übernommene Mandate zögerlich bearbeitet, müssen sich die wegen irreparabler Fristversäumnisse erhobenen Beschwerden häufen, bis etwas geschieht. Überhaupt keine Aussicht auf Erfolg haben Beschwerden von Mandanten, die sich z.B. über einen mit den schriftlichen Unterlagen nicht übereinstimmenden Sachvortrag des Anwalts oder darüber beschweren, dass der Anwalt sie aus mangelnder Kenntnis etwa von höchstrichterlichen Grundsatzentscheidungen in einen aussichtslosen Prozess geschickt hat. Beschwerden wegen solcher anwaltlicher Kunstfehler werden grundsätzlich formularmäßig, mit Lehrformeln zurückgewiesen. Insoweit steht die Pflicht des Rechtsanwalts zur gewissenhaften Ausübung seines Berufes (§ 43 BRVO) auf dem Papier. Auch in diesem Bereich sind die Institute für Anwaltsrecht an der notwendigen Rechtstatensachenforschung nicht interessiert.

Ins Zwielicht geraten ist auch die Betreuung alter und hilfloser Menschen durch oder unter Mitwirkung von Rechtsanwälten. In einigen Fällen haben Betreuer ihre Vertretungsbefugnisse sogar dazu missbraucht, um die Betreuten um ihr Vermögen zu bringen (vgl. DER SPIEGEL Nr. 19 vom 8.5.2000, Nr. 15 vom 10.4.2006; Frankfurter Rundschau vom 14.1. und 20.1.2005; SÜDDEUTSCHE ZEITUNG vom 18.1.2005 die dort geschilderten Fälle sind exemplarisch für viele andere). Die Anwaltskammern haben bislang auch nichts unternommen, um die Einsetzung von Betreuern zu Erben der Betreuten zu unterbinden oder wenigstens zu kontrollieren. Zahlreiche gerichtliche Erbauseinandersetzungen vor den Zivilgerichten sprechen hier eine deutliche Sprache.

 

VIII.       Zum Argument: Im Unterschied zum altruistischen Berater sind Anwälte haftpflichtversichert

Voraussetzung dafür, dass die Versicherung des Rechtsanwalts zum Tragen kommt, ist das Vorliegen eines Schadensersatzanspruchs, realistischer: der Nachweis eines schuldhaften und ursächlichen Kunstfehlers des Rechtsanwalts. Zur Abwehr von Schadensersatzan­sprüche steht den Anwälten aber ein großes Arsenal von Argumenten zu Gebote. Schließlich ist der geschädigte Bürger mit einem Anwalt konfrontiert. Wie soll er z.B. dem Anwalt, der ihn vorschnell, mit einer falschen Rechtsauskunft von einem Prozess abgehalten oder in einen Prozess gedrängt hat, den Inhalt des mündlich geführten Gesprächs nachweisen? Im Unterschied zum Medizinschadensrecht mit der immer stärker durchnormierten ärztlichen Aufklärungspflicht braucht der Rechtsanwalt seine mündlichen Empfehlungen nicht zu dokumentieren. Das einzige, was er benötigt und womit er fast alle prozessualen Schritte unternehmen kann, ist eine formularmäßige Vollmacht. Ähnlich steht es, wenn der Anwalt bei der Auslegung eines auslegungsbedürftigen Gesetzes die sog. herrschende Meinung (h.M.)nicht gekannt hat. Dann macht sich der Dissens unter Juristen an der Frage fest, was nun genau Inhalt der „h.M.“ ist oder ob der Anwalt auf eine Änderung der dazu ergangenen Rechtsprechung hoffen durfte. In den letzten Jahrzehnten hat der Anwaltssenat des Bundesgerichtshofs zwar die anwaltlichen Sorgfaltsanforderungen zunehmend höher angesetzt. Von den in den Fachzeitschriften und juristischen Kommentaren veröffentlichten Urteilen des BGH darf man sich aber nicht den Blick auf die Alltagspraxis der anwaltlichen Haftung verstellen lassen. Gegenstand dieser Urteile sind Fallgestaltungen, bei denen die anwaltlichen Auskünfte schriftlich oder auf andere verlässliche Weise dokumentiert worden sind. Hinzu kommt – ähnlich wie bei den von ärztlichen Kunstfehlern betroffenen Patienten – dass der nicht rechtskundige Mandant oft gar nicht weiß, ob und welcher Kunstfehler dem Anwalt unterlaufen ist. Die Erfolgschancen von Haftungsklagen gegen Rechtsanwälte dürften noch unter den niedrigen Erfolgsquoten der Klagen von Medizinschadensopfern (ein bis zwei Prozent) liegen.

Entschließt sich jemand zu einer Klage, ist das Prozessrisiko groß. Ein Beispiel: Der Rechtsanwalt hat in seinem Schreiben grobfahrlässig eine Rechtsmittelfrist versäumt. Nach der Rechtsprechung ist dem Mandanten ein Schaden aber nur dann entstanden, wenn der anwaltliche Fehler kausal für die Schadensentstehung gewesen ist. Der Mandant muss also beweisen, dass das Rechtsmittel mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ erfolgreich gewesen wäre. Eine solche – nun nur noch hypothetische – Feststellung trifft auf die Schwierigkeit, dass es unter Juristen nur weniges gibt, worüber sich nicht streiten lässt.

Im übrigen muss der Mandant erst wiederum einen Rechtsanwalt einschalten. Mitunter kommt er nun „vom Regen in die Traufe“. Angesichts des Prozesskostenrisikos kann man einem mit seinem Anwalt unzufriedenen Mandanten angesichts des zusätzlichen Kostenrisikos von einer Durchsetzung seines Anspruchs nur abraten.

Nach der Rechtsprechung (BGH BRAK-Mitt. 2006, S. 115) schuldet der Anwalt dem Mandanten grundsätzlich keine ausdrückliche Belehrung über anfallende Gebühren. Dies gilt generell auch dann, wenn der Anwalt erkannt hat, dass seine Gebühren und erst recht die Kosten eines Rechtsstreits im Vergleich zum Prozessrisiko unverhältnismäßig über dem Wert des strittigen Gegenstandes liegen. Tatsächlich müsste ein verantwortungsbewusster Anwalt dem Bürger wenigstens den ungefähren Kostenrahmen nennen. Etablierte Anwälte ohne Einfühlungsvermögen in die Vorstellungen eines Normalbürgers schieben die Frage dem Mandanten zu. So Rechtsanwalt van Bühren von der Kölner Rechtsanwaltskammer in der Sendung des Deutschlandfunks „Marktplatz“ vom 19.5.2006: „Man fragt den Anwalt: Was kosten Sie“. Das habe ihn neulich eine bekannte Schauspielerin gleich zu Beginn gefragt. van Bühren übersieht, dass nicht alle Bürger so selbstbewusst und gewandt sind, ebenso wie sie sich oft auch nicht trauen, ihren Arzt gleich nach seinem Honorar zu fragen. Allerdings sind die Probleme des Umgangs zwischen Juristen und einfachen Bürgern kaum Gegenstand einer immer technokratischer gewordenen Juristenausbildung.

 

IX.     Das Argumentieren mit der Haftpflichtversicherung

Mit ihrem Beharren auf dem Verbot der altruistischen Rechtsberatung verweist die Anwaltslobby unentwegt auf die bekanntlich nur Rechtsanwälten, nicht aber den übrigen Bürgern auferlegte Pflicht zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung. Dabei wird bereits bewusst verschwiegen, dass die Versicherung nur bei fahrlässigem, nicht bei vorsätzlichem Fehlverhalten greift. Dann entfällt nämlich für den Versicherer jegliche Zahlungspflicht, und zwar nicht nur gegenüber dem Anwalt, sondern auch gegenüber dem geschädigten Mandanten (vgl. Dobmaier, AnwaltsBl. 2003, S. 446 f.) Unter dem Begriff der Vorsätzlichkeit hat die Rechtsprechung inzwischen auch die nicht so seltenen besonders krassen Fälle eigentlich „nur“ grobfahrlässiger Fristversäumnisse fallen lassen. Gerade in besonders schwerwiegenden Fällen hatte der Rechtsanwalt übrigens, ohne ausreichende Kontrolle durch die Anwaltskammer, nicht für den Fortbestand der Versicherung gesorgt. Wegen der beängstigenden Häufung der Unterschlagung von Mandantengeldern haben deshalb einige wenige Anwaltskammern damit begonnen, für die Opfer kriminell handelnder Kollegen Vertrauensschadensfonds einzurichten. Die Bundesrechtsanwaltkammer und der Deutsche Anwaltverein möchten dies aber unterbinden. Solche Auffangmöglichkeiten lehnen sie mit der Begründung ab, es könne sich dann herumsprechen, dass Anwälte sich überhaupt an fremdem Geld vergreifen könnten. Auch gehe kein Mandant davon aus, dass die Anwaltschaft hafte, wenn ein Anwalt Gelder unterschlägt. Wer auf etwas nicht vertraut habe, benötige auch keinen Vertrauensschutz. Ein solcher Fall sei allein das Risiko des Mandanten (vgl. Michael Streck, in: AnwaltsBl. Nr. 4/2004, S. 212).

 

X.      Die verfassungsrechtliche Problematik

Die Aufrechterhaltung des Verbots der altruistischen Rechtsberatung für die meisten Bürger würde einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht standhalten. Unbestritten greift das Verbot in das Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) ein.

Altruistisches Handeln ist die wohl vornehmste Betätigung dieses Grundrechts. Mit dem Menschenbild des Grundgesetzes ist es nicht zu vereinbaren, dass mittels des Verbots die Betätigung von „Nächstenliebe oder sozialem Engagement“ verboten bleibt, wie eine der Mitarbeiterinnen an dem RDG früher einmal gefordert hat (vgl. Gabriele Caliebe, Rechts­beratungsgesetz, 3. Aufl., München 2001, S. 43). Zwar ist – in Angleichung zu den meisten in den europäischen und nichteuropäischen Staaten bestehenden Regelungen – ein Gemeinwohlinteresse für eine Begrenzung der außergerichtlichen kommerziellen Rechtsbesorgung nicht schlechthin von der Hand zu weisen. Ein rechtlich beachtliches Bedürfnis für ein Verbot auch der altruistischen Rechtsberatung ist aber nicht ersichtlich. Es ist nicht erkennbar, inwiefern einem Bürger durch ein solches Verbot zu seinem eigenen Schutz versagt werden müsse, sich in Rechtsdingen einem unentgeltlich handelnden Mitbürger anzuvertrauen, von dem er weiß, dass er kein Rechtsanwalt ist und keine juristische Ausbildung absolviert hat. Der in vielen anderen weitaus gefahrenträchtigeren Lebensbereichen (auch mit erheblicher gesundheitlicher und wirtschaftlicher Selbstgefährdung) als mündig angesehene Bürger bedarf nicht des Schutzes vor sich selbst. Nach der Logik des RDG soll jemand aber eher rechtlich völlig unberaten bleiben, als dass er vielleicht einmal einen unzutreffenden Rat erhielte. Ein solch schwerwiegender Eingriff in die Handlungsfreiheit des helfenden Bürgers und – in zwangsläufiger Konsequenz – auch in das Freiheitsrecht des ratsuchenden Bürgers lässt sich mit irgendwelchen Fürsorgepflichten des Staates nicht rechtfertigen. Selbst im kommerziellen Bereich beruflicher Tätigkeiten hat das Bundesverfassungsgericht strenge Voraussetzungen an die Notwendigkeit von Verboten zum Schutz der Bürger geknüpft (BVerfG 17, 306, 314 ff – Mitfahrerzentralen).

Widersprüchlich erscheint auch, dass ausgerechnet diejenigen Juristen, die sich an der Bevormundung des Bürgers durch das Verbot der altruistischen Rechtsberatung nicht stoßen, sonst aber für Eigenverantwortung und Deregulierung und Entbürokratisierung eintreten, z.B. einem „Grundrecht auf Mobilität“ das Wort reden, angesichts bevorstehender etwas strengerer Grenzwerte für Abgasemissionen oder vielleicht auch eines Tempolimits im Autoverkehr. Auch mit der oftmals geforderten Bürgerbeteiligung und bürgerschaftlichem Engagement ist das Verbot nicht zu vereinbaren.

 

XI.     Die Gesetzeszwecke

Bei der Suche nach einem so massiven Eingriff in die Rechte der Bürger rechtfertigenden Gesetzeszweck tut sich die Entscheidungsbegründung schwer. In der traditionellen Diskussion treten drei Gesetzeszwecke nebeneinander auf:

  • der Schutz des Verbrauchers,
  • der Schutz der Rechtsanwaltschaft vor Konkurrenz und
  • die Sicherung der Reibungslosigkeit der Rechtspflege.
  1. Schutz der Rechtsuchenden vor unqualifizierter Rechtsberatung
    Hierzu räumt die Gesetzesbegründung selbst ein: „Das Verbot unentgeltlicher Rechtsberatung ist nicht zeitgemäß und steht mit dem Gedanken von bürgerschaftlichem Engagement nicht mehr in Einklang (...). Verbraucherschutzinteressen haben dieses umfassende Verbot unentgeltlicher Rechtsberatung nie gerechtfertigt“ (S. 39 der BT-Drucksache 16/3655). Wie unverhältnismäßig das Verbot des Altruismus in die allgemeine Handlungsfreiheit sowohl des Helfers als auch des Hilfe in Anspruch nehmenden Bürgers eingreift und wie einseitig sich der Entwurf von dem Interesse einer einzigen Berufsgruppe hat leiten lassen, zeigt der Vergleich mit der Regelung sämtlicher anderer unentgeltlicher Hilfestellungen (siehe dazu unten unter Ziff. XII).

  2. Konkurrenzschutz
    Obgleich dieser Gesetzeszweck bereits mit Art. 12 GG nicht vereinbar ist, steht er unausgesprochen hinter dem gesamten Gesetz, so geflissentlich das Wort in der Begründung auch gemieden wird.

  3. Sicherung der Reibungslosigkeit der Rechtspflege und Schutz der in ihr Tätigen
    Die Sicherung der „Reibungslosigkeit der Rechtspflege“ mit der zweideutigen Intention nach einer von Reibungen, also konfliktfreien Rechtsprechung verbindet sich die Tendenz, die Justiz möglichst nach außen vom Bürgerbereich abzuschirmen, nach dem unter Juristen gelegentlich umlaufenden zynischen Witz „Das einzig störende Element in der Justiz sind die Bürger“. Dabei begnügen sich die Entwurfsverfasser nicht damit, unmittelbare Kontakte zwischen altruistischem Ratgeber und Gericht – sei es durch Vertretung in der mündlichen Verhandlung, sei es im bloßen Schriftverkehr – zu verhindern. Diese Befugnisse sind den Bürgern, von der Fachöffentlichkeit und Öffentlichkeit so gut wie unbemerkt, durch den erst im Frühjahr 2006 unauffällig nachgereichten zweiten Teil des RDG ohnehin genommen und dadurch eine Art Trennscheibe eingeführt worden. Vor Gericht „auftreten“ für andere dürfen außer Rechtsanwälten künftig nur noch enge Verwandte, sonst niemand (Art. 8 ff RDG). Verhindert werden soll vielmehr nun auch die bloße beratende Hilfestellung im Vorfeld denkbarer Rechtsstreitigkeiten. Offensichtlich geht es hier weniger um den „Schutz der Mitarbeiter der Justiz“, erst recht nicht um den Schutz der rechtsuchenden Bürger, sondern vor allem darum, Sozialhilfeberechtigten usw. die gerichtliche und verwaltungsrechtliche Geltendmachung von Ansprüchen, ja sogar bereits deren Prüfung zu erschweren. Nicht zuletzt die oben erwähnten Fallbeispiele (Ziff. IV: Das Verbot als Waffe gegen die Rechtsuchenden) verweisen darauf, dass hier das Gegenteil als der „Schutz der Rechtsuchenden“ gewollt oder zumindest in Kauf genommen wird.

    Darüber hinaus wird in die Handlungsfreiheit des Bürgers auch in solchen Fällen eingegriffen, in denen Bürger aus bürgerschaftlichem Engagement weit über den Einzelfall hinaus aus demokratischem Engagement auf die Änderung z.B. einer problematischen Rechtsprechung (z.B. des RBerG/RDG) hinwirken möchten. Es ist ein zutiefst undemokratischer Gedanke, die Mitwirkung des Bürgers an der politischen Meinungs- und Willensbildung wenigstens im Vorfeld der Justiz auf vom Einzelfall losgelöste theoretische Gespräche, das Abfassen von Leserbriefen und dergleichen zu beschränken, ihn und vor allem seine ratsuchenden Gesprächspartner aber im konkreten Einzelfall von jeglicher Kommunikation der Bürger untereinander und meinungsbildenden Einflussnahme auf Verwaltung und Rechtsprechung auszuschließen.

  4. Das „höchste Rechtsgut“ und „die Rechtsordnung an sich“
    Offensichtlich sind die Autoren des Gesetzentwurfs von den bis hierhin ins Feld geführten Gesetzeszwecken selbst nicht so recht überzeugt. Denn sie schieben nun einen weiteren Gesetzeszweck nach:

    „Auch der Schutz der Rechtsordnung an sich rechtfertigt es, Rechtsdienstleistungsbefugnisse insgesamt stärker einzuschränken als allgemeine Dienstleistungsbefugnisse. Das Recht darf als höchstrangiges Gemeinschaftsgut grundsätzlich nicht in die Hände unqualifizierter Personen gelangen, da es als „gelebtes Recht“ maßgeblich durch die Personen beeinflusst und fortentwickelt wird, die Recht beruflich anwenden“ (BT-Drucksache 16/3655, S. 45).

    Über den Sinn dieser dunklen Rhetorik lässt sich nur spekulieren. Beschworen wird darin das Bild einer hehren Rechtswelt, für die jeder von engagierten Bürgern ausgehende Impuls entbehrlich, sogar eine Bedrohung darstellt.

    Das lenkt – mit ausführlicher kritischer Auseinandersetzung – den Blick auf die wirkliche Intention, die mit dem Verbot der altruistischen Rechtsberatung verfolgt wird: Verhindert werden sollen Kommunikation und solidarisches Vorgehen zwischen Bürgern, die sich mit einer von Mainstream-Juristen produzierten „herrschenden Meinung“ und einer oftmals starren Rechtsfortbildung nicht abfinden und einander mit einer verbesserten Argumentation helfen wollen, um solche Meinungen, die oftmals nur die Meinungen der Herrschenden sind, zu widerlegen und gegen Justizunrecht insbesondere im Sozialbereich oder in sonstigen Prozessen mit politischem Hintergrund mit den rechtlich zulässigen Mitteln vorzugehen. Deshalb soll die Diskussion rechtlicher Probleme anhand eines konkreten Rechtsfalls z.B. in einem Internet-Forum unterbunden werden. Es geht um Herrschaftswissen und den Schutz der die Justiz dominierenden Juristen vor Zweifeln an ihrer Kompetenzüberlegenheit.

    Die Erklärung der Justiz zu einer Art Naturschutzpark passt eher zu dem Bestreben autoritärer Regime, die Justiz- und Verwaltungspraxis vor kritischen Einblicken der Bürger abzuschirmen. Eben wegen dieses ausgeprägten Politikbezugs des Rechts hatten die Nationalsozialisten auch die altruistische Rechtsberatung verboten, wogegen sie für andere dienstleistende Tätigkeiten eine so rigorose Beschränkung nicht für nötig hielten, nicht einmal für den wirklich gefahrenträchtigen Medizinbereich (vgl. Alexander Klose, Im Schatten der Profession: Rechtsberatungsgesetz und Heilpraktikergesetz, Kritische Justiz 2007, S. 47). Für die Justiz und die von ihr zu bewahrende Rechtsordnung – übrigens eine demokratische Rechtsordnung! – gilt dagegen dasselbe, was das Bundesverfassungsgericht für alle staatlichen Funktionen innerhalb einer Demokratie festgestellt hat: Öffentliche Kritik ist das Strukturelement der Demokratie. Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung sind Grundrechte, die Kritik an den staatlichen Institutionen ermöglichen, schlechthin konstituierend. Denn sie ermöglichen erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist (BVerfG 5, 85 205; 7, 198, 100).

    Im übrigen ist der genannte Passus ein schönes Beispiel für eine absichtsvoll verschleiernde juristische Formulierungskunst, die zwar manchen Adressaten imponieren mag, die aber das bei vielen Bürgern mit ihrer angeblichen „Rechtsfremdheit“ vorhandene Misstrauen gegenüber den Juristen nur noch verstärken kann. Ob der „Verbraucherschutz“ oder der Wunsch nach „Reibungslosigkeit der Rechtspflege“ ins Feld geführt werden, all diese Argumente sollen nur verdunkeln, dass es um nichts anderes als um eine Revierabgrenzung zugunsten eines möglichst weitgehend zu verteidigenden Anwaltsmonopols geht, darüber hinaus auch um die Pflege eines „Naturschutzparks Justiz“. Wer zu solchen Leerformeln wie dem „Höchsten Rechtsgut“ greift, offenbart vollends seine Ratlosigkeit auf der Suche nach einem Gesetzeszweck, der einen so skandalösen Eingriff wie das Verbot altruistischen Handelns glaubhaft macht und vor dem Grundgesetz rechtfertigt. An die Stelle ihrer Gralshüter-Rhetorik hätten die Gesetzesmacher sich mit Blick auf eine nicht immer glanzvolle Justizrealität besser die Worte des früheren Oberlandesgerichts­präsi­denten Richard Schmid – der allerdings im Dritten Reich von Juristen durchaus traditionellen Zuschnitts verurteilt worden war – selbstkritisch ins Stammbuch schreiben sollen: „Der größte Feind der Gerechtigkeit ist die Selbstgerechtigkeit“.

 

XII.    Mit dem Verbot haben die Juristen aus dem Gesamtbereich altruistischer Hilfestellung die altruistische Rechtsberatung willkürlich und pro domo handelnd herausgegriffen

Um die Schwere des hier vorgenommenen Eingriffs in die bürgerlichen Freiheiten und die Frage nach der Notwendigkeit beurteilen zu können, muss man das Verbot auch im Rahmen sehen, wie der Gesetzgeber sonst altruistische Betätigungen reglementiert hat, nämlich sonst überhaupt nicht.

a)    Gefährliche Handwerksarbeiten: Obgleich bei der schon Ende des 19. Jahrhunderts weit fortgeschrittenen Technifizierung zahlreiche Handwerksarbeiten durch Personen ohne die entsprechende Ausbildung mit einer erheblichen Gefährdung der Gesundheit und des Vermögens Dritter verbunden sind und damit gewichtige Belange des Gemeinwohls berühren, gibt es für unentgeltlich geleistete Handwerksarbeiten keinerlei gesetzliche Beschränkungen. Das gilt z. B. für sämtliche Elektro- und Schweißarbeiten, Elektroinstallationen und für die Reparatur elektrischer Geräte und Kraftfahrzeuge, überhaupt für sämtliche Bauarbeiten. Nur die entgeltlich ausgeübte Handwerksausübung, auch dies nur bei berufs- und gewerbsmäßigem Umfang, ist an die Eintragung in die Handwerksrolle gebunden. Aus der Fülle der nichtkriminellen menschlichen Handlungsmöglichkeiten hat der Gesetzgeber einzig und allein die altruistische Rechtsberatung herausgegriffen.

b)    Heilpraktikergesetz vom 17.2.1939: Obgleich die durch das Heilpraktikergesetz geschützten Rechtsgüter – Leben und Gesundheit – im allgemeinen höher zu bewerten sind als die im Normalfall bei fehlerhafter Rechtsbesorgung auf dem Spiel stehenden Werte, ist nach dem Heilpraktikergesetz lediglich die berufs- oder gewerbsmäßig durchgeführte Heilkunde verboten; die unentgeltliche Ausübung der Heilkunde ist ohne jegliche Beschränkung für alle Bürger freigegeben, auch ohne Verpflichtung zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung. Nur die berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Ausübung der Heilkunde bedarf einer Erlaubnis (§ 1 Heilpraktikergesetz; vgl. auch BGHSt 7,129). Dieser bereits von Töpper (Deutsche Richterzeitung 1999, S. 173) gegebene Hinweis hat den Präsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer Dr. Bernhard Dombek in „Erstaunen“ versetzt: Schon „das Rechtsgefühl“ solle einem eigentlich sagen, dass ein ungelernter keine medizinischen Eingriffe durchführen dürfe und dass dieses Ergebnis in Deutschland nicht nur allgemeine Überzeugung, sondern auch „irgendwo geregelt“ ist (vgl. Bernhard Dombek, BRAK-Mitt. 3/2001, S. 102). Sosehr es zu begrüßen ist, dass den Präsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer vom Rechtsgefühl her ein vorhandener Wertungswiderspruch empört, übersieht er freilich, dass selbst der von ihm erwähnte „Autoschlosser“ ungestraft medizinische Diagnosen stellen und therapieren darf. Erst wenn es schiefgegangen ist, macht er sich – ebenso wie der fahrlässige Rechtsratgeber – schadensersatzpflichtig und zieht sich vielleicht ein Strafverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung zu.

Die Gesetzesbegründung des RDG tut den Wertungswiderspruch und die damit verbundene verfassungsrechtliche Problematik mit einem einzigen Satz ab (BT-Drucksache 16/3655, S. 45). Irgendeine Vertiefung hätte allerdings die Absurdität des Verbots der altruistischen Rechtsberatung ad absurdum geführt. Zur Erklärung der unterschiedlichen Regelungen kann man auch hier nur erneut auf den Politikbezug und das zweifelhafte Bedürfnis verweisen, möglichst kein demokratisches Gegengewicht von unten gegenüber seitens der Politik, also von oben,  immer wieder versuchten subtilen Einwirkungen auf Justiz zuzulassen.

 

XIII.   Zur Schutzlosigkeit des Publikums vor skrupellosen Finanzdienstleistern

Mit welcher Einseitigkeit unter den ungezählten Beispielen von gefahrenträchtigen Dienstleistungen ausgerechnet die altruistische Rechtsberatung herausgegriffen worden ist, zeigt auch die Regelung der Finanzdienstleistung. In der Bundesrepublik darf noch immer jeder ohne irgendeine Ausbildung riskante Geldanlagen verkaufen und Anlageberatung betreiben. Zwar gibt es einen anerkannten Ausbildungsberuf der Finanzberatung. Doch ist der Beruf selbst nicht an Zulassungsvoraussetzungen geknüpft. Auch in der Gewerbeordnung ist nur der Versicherungsvermittler aufgeführt. Nur in Deutschland, in keinem anderen Industriestaat der Welt kann so leicht wie hier noch jeder unsinnige Produkte den Kunden selbst an der Haustür andrehen, um die Provision zu kassieren, dies oftmals sogar ohne mangelnde Fachkompetenz der Berater, von denen viele nur im Nebenjob aktiv sind.Für die Finanzaufsicht gibt es kaum Befugnisse, um gegen unseriöse Finanzmakler und unseriöse Anbieter von Geldanlagen wirksam einschreiten zu können. Auch in dem Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes sowie zur Änderung des Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetzes ist eine Kontrollmöglichkeit nicht vorgesehen. Der Gesetzgeber hat sich nicht einmal durch den sog. Schrottimmobilien-Skandal aufschrecken lassen. In den vergangenen zehn Jahren haben rund 400.000 Anleger vermutlich mehr als 100 Milliarden EUR verloren, weil sie von betrügerischen Finanzmaklern zum Kauf überteuerter Immobilien überredet wurden. Einige dieser Anleger haben sich sogar das Leben genommen. Das Rechtsberatungsgesetz, künftig das RDG, würde keine Remedur bringen. Die Probleme der sog. Schrottimmobilien liegen im wirtschaftlichen Bereich und nicht bei einer fehlerhaften Rechtsberatung. Der einzig korrekte und dringend notwendige gesetzgeberische Weg besteht deshalb im weiteren Ausbau der Kapitalmarktschutzgesetze (vgl. Hans-Jürgens Ahrens, Juristenzeitung 2004, S. 860, Gutachten Barbara Grunewald zum RDG, S. 2).

 

XIV.  Das Verbot der altruistischen Rechtsberatung als Instrument von Privatjustiz

In einem geschickten Schachzug verzichtet der Entwurf völlig auf eine staatliche Sanktion. Die Möglichkeit eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens mit Verhängung einer Geldbuße ist nicht mehr vorgesehen. Zu den von den Verfechtern des Verbots als störend empfundenen kritischen Presseberichten über solche Bußgeldverfahren kann es nicht mehr kommen. Dennoch kann von einer Liberalisierung des Gesetzes keine Rede sein. Das Gegenteil ist der Fall. Man belässt es nämlich bei einer bislang schon angewendeten Methode, die in der Gesetzesbegründung der Anwaltschaft sogar nahegelegt wird. Danach können die Anwaltsverbände, ja sogar jeder einzelne der inzwischen rund 135.000 deutschen Rechtsanwälte die Verfolgung viel wirksamer als die Staatsanwaltschaften selbst in die Hand nehmen. Das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG), das sogenannten Mitbewerbern eine Klagebefugnis in die Hand gibt, lässt für eine Abmahnung jeden Verstoß gegen ein Gesetz genügen, das eine Berufsgruppe wie die Rechtsanwälte schützt. Findige Rechtsanwälte haben schon bislang ein Geschäft daraus gemacht, dass sie altruistische Helfer wegen „geschäftsmäßiger Rechtsberatung“ auf Unterlassung verklagen. Anstatt dieser – weltweit einzigartigen – Privatjustiz einen Riegel vorzuschieben, ermuntert die Entwurfsbegründung die Rechtsanwälte stillschweigend zu einer Ausdehnung dieser Privatjustiz (S. 43 f der Drucksache 16/3655). Ob alle eine zusätzliche Einnahmequelle suchende Rechtsanwälte sich an die beschwichtigende Empfehlung des Präsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer Dr. Dombek, im Umgang mit Rechtsberatung aus sozialem Engagement sei hohe Empfindsamkeit und Fingerspitzengefühl angezeigt (BRAK-Mitt. Nr. 3/2001 S. 104), halten werden, ist nach den bisherigen Erfahrungen mehr als zweifelhaft. Selbst Anwaltskammern gehen gegen altruistische Rechtsberater rigoros vor und kassieren dafür die hohen Prozessgebühren.

Künftig bedarf es zu einer Abmahnung nicht einmal mehr des Nachweises einer Wiederholungsabsicht. Vielmehr genügt bereits eine einzige altruistische Beratung, um den altruistischen Helfer mit einem kostspieligen Prozess zu überzielen. Dem altruistischen Berater drohen die horrenden Prozessgebühren, während dem Anwalt, der eine solche Klage erhebt, die verlockenden Prozessgebühren winken, die Anwälte auch in eigener Sache liquidieren können.

Der von einem Rechtsanwalt oder einer Rechtsanwaltskammer mit einer Klage überzogene Bürger muss in der Gerichtspraxis bei Prozessen wegen altruistischer Rechtsberatung mit der gerichtsüblichen Streitwertfestsetzung auf 15.000,00 EUR rechnen. Bereits für die erste Instanz (zuständig ist das Landgericht) belaufen sich die Prozesskosten auf 4.814,84 EUR, nach Einschaltung auch der Berufungsinstanz auf insgesamt 9.453,85 EUR. Der Gedanke, dass der in einem einzigen Fall altruistisch handelnde Bürger anstelle einer bislang allenfalls verwirkten Geldbuße von höchstens etwa 200,00 EUR mit derartigen Verfahrenskosten sanktioniert werden kann, ist schwer erträglich. Die Möglichkeit einer Verfahrenszurückweisung entsprechend § 47 I OWiG gibt es zivilrechtlich nicht. Ob alle eine zusätzliche Einnahmequelle suchende Rechtsanwälte sich an die beschwichtigende Empfehlung des Präsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer Dr. Dombek, im Umgang mit Rechtsberatung aus sozialem Engagement sei hohe Empfindsamkeit und Fingerspitzengefühl angezeigt (BRAK-Mitt. Nr. 3/2001, S. 104) wenigstens in Zukunft halten werden, ist nach den bisherigen Erfahrungen mehr als zweifelhaft. Die Überlegung, der altruistische Berater brauche zur Vermeidung des Kostenrisikos die ihm abverlangte Unterlassungserklärung nur einfach unbesehen unterzeichnen, kann nicht beruhigen. Wenn er seinerseits keinen altruistischen Berater findet, der ihm wie der Unterzeichner dieser Stellungnahme von einem Prozess abrät, und sich stattdessen von einem leichtfertigen, seinerseits eingeschalteten Rechtsanwalt in einen Prozess hineinlocken lässt, wozu dem Unterzeichner mehrere Fälle vorliegen, ist es zu spät. Die nunmehr einzige Art der Sanktionsmöglichkeit, mit der die Anwaltschaft auf Fälle der altruistischen Rechtsberatung reagieren kann, steht außer Verhältnis zum denkbaren Unrechtsgehalt der altruistischen Rechtsberatung. Sie verstößt gegen das aus dem verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz abgeleitete Willkürverbot (Art. 3 I GG). Die bisherige Gerichtspraxis lässt den Grundrechtsschutz nach Art. 2 I, Art. 3 I, Art. 19 IV praktisch leer laufen. Der Eindruck, den diese Art des Vorgehens von Rechtsanwälten und sogar Rechtsanwaltskammern bei den Bürgern hinterlässt, ist verheerend und beschädigt die Rechtsordnung viel schlimmer, als sie jemals ein noch so unerfahrener altruistischer Rechtberater beschädigen könnte. Solche anwaltlichen Praktiken verringern auch das Vertrauen der Bürger in die Justiz, ja es lässt sie an der Justiz verzweifeln. Wenn das RDG mit dem Verbot der altruistischen Rechtsberatung in Kraft tritt, wird das allerdings zur größten Genugtuung des unseriösen Teils der Rechtsanwaltschaft geschehen: eine höchstrichterliche Klärung wird kaum noch möglich sein. Bei dem bestehenden Kostenrisiko wird jeder gut beratene Bürger sich auf eine Unterlassungsklage nicht einlassen. Der schlecht beratene Bürger wird spätestens nach dem ersten Urteil aufgeben, es sei denn, dass er sich von einem Anwalt zur Einlegung eines Rechtsmittels bestärken lässt. Und was die Aussichten einer Verfassungsbeschwerde angeht, wird das Bundesverfassungsgericht sich vielleicht mit dem Placebo begnügen, das der Gesetzentwurf mit der Verwandten- und Nachbarklausel in § 6 II RDG eingefügt hat.

 

XV.   Zu der Regelung der Vertretung vor Gericht (Artikel 5-10 RDG)

Mit diesen, von Öffentlichkeit und Fachöffentlichkeit bislang kaum bemerkt, nachträglich in den ersten Entwurf des RDG eingefügten Vorschriften, wird mit einer weit mehr als hundertjährigen bewährten Prozesstradition gebrochen. Künftig darf der Bürger sich außer durch Rechtsanwälte nur noch durch Familienangehörige und Volljuristen vor Gericht vertreten lassen. Dazu muss man wissen, dass das Vertretungsverbot auch für die bloße Einreichung von Schriftsätzen gilt. Diese Aussperrung passt in das Bild einer Justiz, die sich zunehmend gegenüber den Bürgern abschottet. Rechtsvertreter, die engagiert, nonkonformistisch, ohne Scheu vor gegenüber Kritik überempfindlichen Richtern auftreten – im Unterschied zu manchen Rechtsanwälten, die es sich mit dem Richter und/oder seinem Gegner nicht verscherzen möchten – sind unerwünscht.

Die Regelungen (§ 79 Abs. 2 Ziff. 2, ZPO) macht es den Parteien selbst vor dem örtlichen Amtsgericht unmöglich, sich von einer Person ihres Vertrauens vertreten zu lassen. Außerhalb des Familienverbandes wird eine altruistische, unentgeltliche Vertretung unmöglich gemacht, es sei denn, im Freundes- und Bekanntenkreis befinden sich hilfsbereite Personen mit der Befähigung zum Richteramt. Die Regelung benachteiligt vor allem Alleinstehende und wenig gerichtserfahrene Personen, die auf die Hilfe, oftmals auch auf die seelische Unterstützung hilfsbereiter Freunde und Nachbarn angewiesen sind. Die Begründung enthält keinerlei Argumente, die eine solch weitgehende Änderung der bestehenden Rechtslage rechtfertigen würde. Es kommt ohnehin nicht häufig vor, dass eine Partei von einem nicht zum Richteramt befähigten Freund, Bekannten oder Nachbarn vertreten wird. Meist handelt es sich um Nachbarschaftshilfe für Parteien, die aus gesundheitlichen, aus Alters- oder Abwesenheitsgründen nicht selbst tätig werden, insbesondere nicht zum Termin erscheinen können. Nach der Erfahrung vieler Richter war gerade im letzteren Fall der Hinweis darauf, dass man auch eine Person des Vertrauens mit der Vertretung im Termin beauftragen kann, oft durchaus geeignet, den Prozess zu beschleunigen. Nach einer Umfrage des Unterzeichneten ist kein einziger Fall bekannt geworden, in dem ein Bevollmächtigter nicht geeignet gewesen wäre, die Interessen der Partei wahrzunehmen. Die Möglichkeit, durch besondere Anordnung jemand als Beistand in der Gerichtsverhandlung zuzulassen, wenn dazu ein Bedürfnis besteht, reicht nicht aus. Entscheidend wird dann sein, wie unterschiedlich die auch bei Richtern unterschiedlich entwickelte Bürgernähe reicht.

 

XVI.         Zusammenfassung

Die in dem Gesetzentwurf für die gewerbliche Rechtsberatung vorgesehenen Regelungen erscheinen bei aller Kompliziertheit und trotz gewisser Defizite sachgerecht. Mit der weitgehenden Aufrechterhaltung und zum Teil sogar noch Ausdehnung des Verbots der altruistischen Rechtsbesorgung steht das RDG in kaum gebrochener Kontinuität zum nationalsozialistischen Rechtsberatungsgesetz vom 13.12.1935. Ebenso wie die 61jährige Fortdauer des Rechtsberatungsgesetzes seit 1945 bei einer kritischen Wahrnehmung seiner Entstehungsgeschichte nicht denkbar gewesen wäre, trägt auch das RDG den Stempel des nationalsozialistischen Verbots. Daran kann auch die Kosmetik der Titeländerung – Rechtdienstleistungsgesetz anstelle Rechtsberatungsgesetz – nichts ändern. Im Unterschied zum Inhalt ist der alte Titel nicht typisch nationalsozialistisch. Die Intention, man könne den Kontinuitätsstrang mittels einer Neuetikettierung des Gesetzes durchtrennen, ist ein Irrtum. Auch passt der Begriff „Dienstleistung“ zumindest nicht für altruistische Tätigkeiten. Freunden und anderen Bürgern gewährt man Rat und Hilfe, aber keine „Dienstleistung“. Auch auf den Rechtsanwalt mit seinem herkömmlichen Ethos passt er nicht. Allerdings macht die Titeländerung deutlich, welch profane Dimensionen der Beruf inzwischen erreicht hat: Viele Rechtsanwälte verstehen ihren Beruf als ein Gewerbe, ausgerichtet allein an kommerziellen Gerichtspunkten.Mit dem rigiden Aussperren so vieler altruistischen Helfer – mit Ausnahme der in § 6 II RDG genannten Personen – entfernt sich der Gesetzgeber noch mehr von den unverzichtbaren Voraussetzungen einer bürgerfreundlichen Justiz. Sollte es tatsächlich möglich werden, ein Verbot zu verabschieden, das nach den eigenen Worten seiner Schöpfer von 1935 „nur auf dem festen Boden nationalsozialistischer Weltanschauung entstehen konnte“ und im marxistisch-liberalistischen Parteienstaat eine völlige Unmöglichkeit gewesen wäre? (vgl. dazu mit weiteren Nachweisen: Helmut Kramer, Die Entstehung des Rechtsberatungsgesetzes im NS-System und sein Fortwirken, Kritische Justiz 2000, S. 600, 604, auch im Internet unter <link die-entstehung-des-rberg.75.0.html>

www.kramerwf.de/Die-Entstehung-des-RBerG.75.0.html