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Vorgeschichte

Dass in einer zunehmend „marktwirtschaftlich“ ausgerichteten Gesellschaft auch die Rechtswissenschaft – jedenfalls manche ihrer Vertreter – nach Brot geht und eigenen Vorteil sucht, hat sich in kritischen Juristenkreisen schon etwas herumgesprochen. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Rechtsberatungsgesetz bietet ein hervorragendes Anschauungsbeispiel. Mit Recht spricht Kleine-Cosack von einer „wissenschaftlichen Nacht“, die die Problematik des RBerG jahrzehntelang verschleiert hat. Die Kommentare zum RBerG halten das Verbot der unentgeltlichen Rechtsberatung noch immer für verfassungsrechtlich völlig unbedenklich, ohne die Vielzahl von Stimmen zu erwähnen, die dieses Verbot des Altruismus für verfassungswidrig halten.

Die für die Auslegung und verfassungsrechtliche Beurteilung des RBerG nicht unwichtige Entstehungsgeschichte und übrige Geschichte des Gesetzes wird entweder ausgeblendet oder verfälscht wiedergegeben.

Der Hinweis auf die „Vorarbeiten“ zu dem Gesetz bereits in der Zeit vor 1933.

Das Bundesverwaltungsgericht – damals allerdings mit schwer belasteten, auch an der Deportation von Tausenden von Juden nach Auschwitz beteiligten Richtern besetzt – hat im Jahre 1964 dem RBerG zur Weitergeltung mit der Erwägung verholfen, die Unzulänglichkeit der durch das RBerG von 1935 abgelösten früheren liberalen Regelung habe „seit langem außer Streit“ gestanden; auch hätten die „Vorarbeiten in die Zeit vor der Machtübernahme“ zurückgereicht (BVerwGE 19, 339, 340 – ebenso BGHZ 15, 315). Als einziger Beleg wird der Kommentar von Jonas (S. 6) zitiert. Und dort endet die Spur: Auch Jonas bleibt einen Beleg schuldig.

Heute – im Jahre 2004 – beruft sich die organisierte Anwaltschaft erneut auf jene Vorgeschichte, mit der Behauptung „die Vorarbeiten zum RBerG 1935 reichen in das Jahr 1929 zurück“. Eine ins Blaue getane Behauptung, wie der nachfolgende Briefwechsel belegt.

Großzügig geben die hochdotierten und mit zahlreichen wissenschaftlichen Mitarbeitern unterstützten Professoren an den Instituten für Anwaltsrecht bei der Wiedergabe der Gesetzeszwecke des RBerG mit den Fakten um. Insbesondere auch für das Verbot der unentgeltlichen Rechtsberatung wird stereotyp auf die Gesetzesbegründung von 1935 und darauf Bezug genommen, mit dem Verbot habe der Gesetzgeber den Bürger vor unsachgemäßer Rechtsberatung schützen wollen. In der Gesetzesbegründung (Reichssteuerblatt Teil I, Ausgabe vom 17.12.1935, S. 1529) steht aber ganz anderes. Der Schutz der Rechtsuchenden bezieht sich nämlich darin ausdrücklich nur auf die „berufliche Betätigung“ im Bereich der Rechtsbesorgung, nicht jedoch auf die nichtberufliche Rechtsberatung. Zur unentgeltlichen Rechtsberatung heißt es vielmehr: „Die Grenzen sind absichtlich weit gesteckt, um Umgehungsversuchen vorzubeugen. Deshalb sind auch die nebenberufliche und die unentgeltliche Rechtsberatung ausdrücklich erwähnt.“ Die juristische Fachsprache spricht bei einer solchen gesetzgeberischen Technik von einem „Auffangtatbestand“. Auffangtatbestände sind nach dem Grundgesetz nur in äußerst engen Grenzen verfassungsrechtlich zulässig.

Gleichwohl wird von den Vertretern des Anwaltvereins die alte Mär noch heute wiederholt. Dazu der nachfolgende Schriftwechsel mit Rechtsanwalt Dr. Bernd Bürglen und Frank Johnigk.

Um die Peinlichkeit zu verschleiern, dass der Bevölkerung der neuen Bundesländer bei der Wiedervereinigung auch Grundrechte genommen worden sind, behaupten die Kommentare zum RBerG bis heute, das RBerG habe auch in der DDR gegolten, sogar in der ursprünglichen Form von 1935. Dies wird in allen drei Kommentaren zum RBerG (Rennen/Caliebe, Weth in Henssler/Prütting und Chemnitz/Johnigk) behauptet. Unklar dabei ist nur, wer von wem abgeschrieben hat. Außer Zweifel steht dagegen, dass die Behauptung nicht der klaren Gesetzeslage der ehemaligen DDR entspricht. Hätten die Kommentatoren auch nur einen einzigen Blick etwa in das Rechtslexikon der DDR (z. B. Aufl. 1988, Stichwort: „Rechtsberatung“) geworfen, hätten sie erfahren: „Bezüglich des Personenkreises, der unentgeltlich rechtsberatend tätig werden darf, bestehen keine rechtlichen Einschränkungen. Gegen Entgelt dürfen nur Rechtsanwälte juristisch beraten.“ Jeden Zweifel behebt auch § 11 der Ordnungswidrigkeitenverordnung der DDR vom 22. März 1984. Danach war in der DDR lediglich die entgeltliche Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten verboten.

Die Geschichte des RBerG ist vom Anfang (1935) bis zum hoffentlich alsbaldigen Ende eine Geschichte der von Juristen begangenen Verschleierungen und Unredlichkeiten. Noch wichtiger ist allerdings die Frage, warum eigentlich doch der Aufklärung und wissenschaftlichen Redlichkeit verpflichtete Rechtsprofessoren sich derartige Schlampigkeiten leisten und offensichtlich ungestraft leisten dürfen. Das Elend der Kommentarliteratur führt allerdings zu einem anderen, viel umfassenderen Problem, dem nicht so leicht beizukommen sein wird.

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