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Zur Reformbedürftigkeit des RBerG

Zur Reformbedürftigkeit des Rechtsberatungsgesetzes vom 13.12.1935 – Kritik der Praxis und Fallbeispiele zum Gesetzesmißbrauch

Dr. Helmut Kramer

Überprüfungsbedürftig ist die Regelung der Rechtsbesorgung einschließlich der Rechtsberatung sowohl im Bereich der altruistischen Rechtsbesorgung als auch im Bereich der gewerblichen Rechtsbesorgung.

I. Zur Regelung der altruistischen, unentgeltlichen Rechtsbesorgung

  1. Bedenken gegenüber dem Verbot ergeben sich sowohl aus verfassungsrechtlichen Erwägungen als auch hinsichtlich der bedenklichen, zum Missbrauch neigenden Gesetzesanwendung.

  2. Das Verbot der rein altruistischen, unentgeltlichen Rechtsberatung ist erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt. Tangiert ist vor allem Art. 2 Abs. 1 GG. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG genügt für Eingriffe in das Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit nicht bereits, dass die Eingriffe zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit geeignet und erforderlich sind. Vielmehr sind sie nur dann zulässig, wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Recht, Mitbürgern nicht nur gegen klingende Münze, sondern altruistisch mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, um eines der vornehmsten Bürgerrechte handelt. Nicht gefolgt werden kann deshalb der noch immer in dem Kommentar von Günter Rennen/Gabriele Caliebe (RBerG, 3. Auflage 2001, Art. 1 § 1, Rn. 68) vertretenen Auffassung, im Bereich der Rechtsberatung sei, verfassungsrechtlich unbedenklich, auch die Betätigung von christlicher Nächstenliebe oder sozialem Engagement verboten.

  3. Das Verbot der altruistischen Rechtsberatung benachteiligt indirekt auch die ratsuchenden Bürger. Zwar richtet sich die Bußgeldandrohung nicht unmittelbar gegen sie selbst. Im Ergebnis wird ihnen aber versagt, sich von Mitbürgern in Rechtsdingen unentgeltlich helfen zu lassen, wenn sie Opfer von Verwaltungsunrecht oder sonstigen juristischen Konflikten werden.

  4. Auf altruistische Hilfe sind ausländische Flüchtlinge und andere am Rande der Gesellschaft stehende Menschen oftmals dringend angewiesen. Sozial benachteiligte Bürger haben es schwer, einen zu gründlicher und engagierter Arbeit geeigneten und bereiten Rechtsanwalt zu finden. Erfahrungsgemäß besteht bei Rechtsanwälten schon aus betriebswirtschaftlichen Gründen kein Interesse an der Beratung und Vertretung von Mittellosen. In erhöhtem Maß gilt dies im Bereich des Sozialrechts (Sozialversicherungsrecht, Sozialhilferecht usw.). Die Zahl der Fachanwälte für Sozialrecht ist sehr gering (vgl. Lehmann, Neue Justiz 2000, S. 337 f). Rechtsanwälte erklären, wegen der zu geringen Gebührensätze für Sozialrechtsfälle könnten sie nicht kostendeckend arbeiten. Die besonderen persönlichen Schwierigkeiten des betroffenen Personenkreises machen die Befassung mit dieser Klientel für einen Rechtsanwalt zusätzlich unattraktiv. Es handelt sich oft um die deutsche Sprache nur schlecht beherrschende Ausländer, Drogensüchtige, Wohnungslose, psychisch Kranke. Gelegentlich finden sich zwar Rechtsanwälte, die entsprechende Mandate zu den Gebührensätzen der Beratungshilfe oder Prozesskostenhilfe übernehmen, aber eine fachlich nur unzulängliche Arbeit verrichten. Unter Hinweis auf das im Sozialverwaltungsverfahren geltende Amtsermittlungsprinzip wird oftmals lediglich eine vier oder fünf Zeilen umfassende Begründung der erhobenen Klage oder des Widerspruchs angefertigt. Eine weitere Einarbeitung in die schwierige und wenig vertraute Materie des Sozialrechts erfolgt nicht.

    Auch die Freie Wohlfahrtspflege, u.a. Caritas-Verband, Diakonisches Werk, Arbeiterwohlfahrt, kann mit ihren geringen Arbeitsressourcen die Lücke nicht annähernd füllen. Es kommt hinzu, dass einige Anwaltskammern trotz des geringen Interesses der Rechtsanwälte an der Armutsklientel gegen den Caritas-Verband und seine Mitarbeiter gerichtlich vorgehen, um sie an der Beratung von Ausländern und anderen hilfsbedürftigen Bürgern zu hindern. Inzwischen ergangene Gerichtsurteile haben keine ausreichende Sicherheit für die Wohlfahrtsverbände gebracht.

  5. Der bis heute offiziell vorgegebene Hauptzweck des Gesetzes besteht nach der Gesetzesbegründung von 1935 darin, den Bürger vor unsachgemäßer Rechtsberatung zu schützen, mit anderen Worten: den Bürger davor zu bewahren, der ihm zustehenden Rechte verlustig zu gehen. Das Verbot der altruistischen Rechtsberatung läuft aber darauf hinaus, dass gerade denjenigen, die auf altruistische Rechtsberatung angewiesen sind, die vielleicht einzige Beratungsmöglichkeit genommen wird. Damit bewirkt das Verbot das genaue Gegenteil von dem, was es angeblich bewirken soll. Das Verbot dient nicht mehr dem Schutz der Bürger vor unsachgemäßer Rechtsberatung, sondern nicht selten allein dazu, die Durchsetzung ihrer Rechte möglichst zu vereiteln.

  6. Die Notwendigkeit, durch ein Verbot der altruistischen Rechtsberatung dem mündigen Bürger die Inanspruchnahme einer solchen Beratung zu verwehren, erscheint um so fraglicher, als irgendwelche konkrete Tatsachen für die behauptete Gefährdung empirisch nicht belegt sind, weder für die Zeit ab 1935 noch für die verbotsfreie Zeit 1878 bis 1935. Die Gefährdung wird zwar im nationalsozialistischen Schrifttum der Jahre 1935 und 1936 allgemein behauptet, auch hier indessen ohne jeglichen Beleg.

  7. Die angebliche Notwendigkeit des Verbots erscheint um so fragwürdiger, wenn man es mit der Freigabe uneigennütziger Ratschläge und sonstiger Hilfestellungen in anderen, zum Teil erheblich gefahrenträchtigeren Handlungsbereichen vergleicht, in denen es um Leben und Gesundheit geht. Im kommunikativen Umgang der Bürger gibt es viele Situationen, in denen unentgeltlich Ratschläge und tatsächliche Hilfsdienste gegeben werden, die, wenn Fehler unterlaufen, zu oftmals noch größeren Nachteilen als im Rechtsbereich für die Hilfesuchenden, ja sogar für Unbeteiligte führen können, etwa im medizinischen oder technischen Bereich (kostenlose Reparatur von Kraftfahrzeugen!) oder (vgl. BVerfGE 20, 150, 159) im Bereich des Beförderungswesens. Auch dort besteht allgemeiner Konsens, dass es keinerlei Gründe des öffentlichen Interesses geben kann, die eine derart schwerwiegende Einschränkung der Grundrechte durch das Verbot unentgeltlicher Hilfestellungen unter Bürgern zu rechtfertigen vermöchte. Sogar im Gesundheitsbereich ist nach dem Heilpraktikergesetz von 1939 lediglich die gewerbliche Heilbehandlung erlaubnispflichtig, nicht die unentgeltliche Heilbehandlung.

    Noch deutlicher wird diese verfassungsrechtliche Schieflage, wenn man das Verbot der uneigennützigen Hilfe mit der Regelung von Dienstleistungen im kommerziellen Bereich vergleicht. Mit Ausnahme von Deutschland und Österreich dürfen entgeltliche Handwerkerleistungen auch in Berufen, bei denen die Bürger ein besonderes Interesse an qualifizierter Arbeit haben, auch von Personen ohne nachgewiesene Vorbildung erbracht werden. Und inzwischen erwägt auch die Regierung der Bundesrepublik Deutschland die gegenwärtig noch bestehenden Zugangsbeschränkungen zu Handwerkerberufen (sog. Meisterbrief) weitgehend abzuschaffen (vgl. u.a. DER SPIEGEL Nr. 26 vom 23.6.2003, S. 75). Unter diesen Umständen ist das Verbot der unentgeltlichen Rechtsberatung ein absoluter Fremdkörper im europäischen und auch deutschen Raum und eine unerträgliche Diskriminierung altruistischer Gesinnung. Die Verteidiger des Verbots der altruistischen Rechtsberatung sind bislang jeden tatsächlichen Nachweis für die Behauptung schuldig geblieben, dass gerade die altruistische Rechtsberatung besondere Gefahren verursacht, viel gefährlicher als jene anderen gefahrenträchtigen Betätigungen von uneigennütziger Nachbarschaftshilfe und von kommerziellen Dienstleistungen im Handwerkerbereich.

  8. Die Unverhältnismäßigkeit des im Jahre 1934 eingeführten Verbots der altruistischen Rechtsberatung wird durch einen Blick auf das ausländische Recht bestätigt: Die Bundesrepublik ist – sogar weltweit –der einzige Staat, in dem altruistisches Handeln im Bereich der Rechtsberatung verboten ist (vgl. Ulrich Everling, Gutachten C zum 58. Deutschen Juristentag, München 1990, S. C 69 ff, C 91). In allen anderen Staaten der Europäischen Union gilt die Betätigung von Altruismus dem Gesetzgeber ausnahmslos als besonders förderungswürdig.

    Ein Verbot der unentgeltlichen Rechtsberatung wird in den übrigen Staaten der Europäischen Union nicht einmal diskussionsweise in Erwägung gezogen. Nach Art. 47 Europäische Grundrechtcharta kann sich jede Person in rechtlichen Dingen beraten, verteidigen und vertreten lassen. Die von dem Vertreter der Bundesrepublik vorgeschlagene Beschränkung dieses Rechts auf die Vertretung durch Rechtsanwälte ist in den Beratungen der Charta ausdrücklich abgelehnt worden. Zwar gibt es noch keine Richtlinie der EU, die die Freigabe der altruistischen Rechtsberatung für alle Mitgliedsstaaten ausdrücklich verbindlich macht; die Europäische Kommission ist nur für die Regelung des kommerziellen Wettbewerbs zuständig. Dies berechtigt aber nicht dazu, die Regelungen und Erfahrungen des Auslands unbeachtet zu lassen. Der Wettbewerb im Bereich des Altruismus verdient sogar, noch mehr gefördert zu werden als der auf Gewinn abzielende Wettbewerb mit seinen gelegentlich unerwünschten Auswüchsen.

    Auch in der deutschen Aufsatzliteratur ist das RBerG neuerdings erheblicher Kritik ausgesetzt. Seit mehreren Jahren wird dort – mit Ausnahme der Kommentarliteratur – fast einhellig die Meinung vertreten, dass das Verbot der unentgeltlichen Rechtsberatung unhaltbar und verfassungsrechtlich bedenklich ist.

    Auf das anliegende Literaturverzeichnis wird Bezug genommen

  9. Ein weiterer der Gesetzesbegründung des Jahres 1935 entnommener Gesetzeszweck zielt dahin, dass die „Arbeit der Behörden durch die Tätigkeit nicht hinreichend sachkundiger Vertreter wesentlich erschwert wird“ (Reichssteuerblatt 1935 I, S. 1528). Es ist aber zweifelhaft, ob die „Sicherung einer reibungslosen Abwicklung des Rechtsverkehrs bei Behörden und Gerichten“ – so der heutige Sprachgebrauch - überhaupt ein Gemeinschaftsgut ist, das ein demokratischer und rechtsstaatlich verfasster Staat mit den Mitteln des Strafrechts oder Ordnungswidrigkeitenrechts schützen darf. Gerichte und Verwaltung sind kein Selbstzweck, sondern haben in erster Linie die Aufgabe, dem Bürger zu dienen, nicht aber – wie dies durch das Verbot der altruistischen Rechtsbesorgung geschieht – ihnen die Inanspruchnahme der Dienstleistung von Justiz und Verwaltung zu erschweren. Der reibungslose Ablauf von Rechtspflege und Verwaltung wäre am besten gekennzeichnet dadurch, dass Antragsteller die Leistungen erhalten, die ihnen zustehen und dass qualifizierte Bescheide ergehen, die eine rechtliche Prüfung zeitnah möglich machen. Die meisten bekannt gewordenen Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen unentgeltlicher Rechtsbesorgung gehen bezeichnenderweise auf Anzeigen von Behörden zurück, die bei Unregelmäßigkeiten ertappt worden sind oder die Rechtschutz suchende Ausländer von ihren altruistischen Beratern trennen wollen.

  10. Als weiteren Schutzzweck nennt die Rechtsprechung das Interesse an der „Gewährleistung einer leistungsfähigen Anwaltschaft“. Unklar ist hier bereits die Gewichtung dieses Interesses gegenüber den beiden anderen Gesetzeszwecken. Eine derart diffuse Umschreibung eines Gesetzeszwecks fordert zu besonderer Skepsis gegenüber der nicht nur von dem Gesetzgeber der Jahre 1933 bis 1945 angewandten Methode heraus, Straftatbeständen mehrere, vielleicht sogar gegenläufige Schutzgüter zuzuschreiben und für die Gesetzesanwendung je nach Belieben des Gesetzesanwenders nur die Tangierung eines dieser Schutzgüter ausreichen zu lassen (vgl. u.a. Vormbaum, in Ostendorf, FS zum 125jährigen Bestehen der Staatsanwaltschaft Schleswig-Holstein, Köln 1991, S. 90). Ohnehin kann der zunehmend in der Literatur geäußerten Frage wenig entgegengesetzt werden, ob es sich bei der Berufung auf das Interesse an der „Aufrechterhaltung eines leistungsfähigen Berufsstandes der Anwaltschaft“ nicht lediglich um eine Auswechslung der Begriffe handelt, nämlich um einen Austausch des - verfassungsrechtlich bedenklichen – Schutzzwecks Konkurrenzschutz gegen einen scheinbar unverfänglichen Begriff. Jedenfalls darf die Rangfolge der zu berücksichtigenden Schutzgüter des RBerG nicht in verfassungswidriger Weise so verändert werden, dass der Verbraucherschutz praktisch leer läuft. In Anpassung an das europäische Verbraucherleitbild gebührt ihm sogar Vorrang.

    Eine nennenswerte Schmälerung der Honorareinkünfte der Anwaltschaft ist durch die Freigabe der unentgeltlichen Rechtsberatung ohnehin nicht zu besorgen. Die Adressaten der altruistischen Rechtsberatung gehören zu einer Klientel, die gebührenmäßig für die Anwaltschaft uninteressant ist, schon deshalb, weil diese potentiellen Mandanten fast immer nicht zahlungsfähig sind. Getroffen werden von dem Verbot altruistischer Rechtsberatung insbesondere sozial schwache Personen, für die anwaltlicher Rat aus wirtschaftlichen Gründen nicht erreichbar ist.

  11. Zusätzliche schwerwiegende Bedenken gegen das Verbot der altruistischen Rechtsberatung ergeben sich daraus, dass der Gesetzgeber im Jahre 1980 durch das 5. Rechtsanwaltsgebührenordnungsänderungsgesetz vom 18.8.1980, BGBl. 1980 I, S. 1503 ff den bis dahin bestehenden Erlaubnisvorbehalt für die unentgeltliche Rechtsberatung beseitigt und damit das Gesetz vom 13.12.1935 noch verschärft hat. Seit 1980 kann eine Erlaubnis nicht einmal derjenige erlangen, der die für eine Rechtsbesorgung notwendigen Kenntnisse und Erfahrungen nachweist, vielleicht sogar über Kenntnisse und Erfahrungen verfügt, die denen von manchen Rechtsanwälten überlegen sind. Der Fall des Richters am OLG Dr. Helmut Kramer (vgl. König, ZRP 2001, S. 409 f; Bräcklein, ZRP 2002, S. 414) ist kein Ausnahmefall. Insbesondere in den Flüchtlingsberatungsstellen von amnesty international, Pro Asyl, des Caritas-Verbandes und anderer Wohlfahrtsverbände sind Sachbearbeiter tätig, die sich in die entsprechenden Spezialmaterien oftmals weit besser eingearbeitet haben, als dies den meisten Rechtsanwälten möglich ist. Trotzdem meinen Organisationen der Anwaltschaft, insbesondere übereifrige Rechtsanwaltskammern, diesen Formen der karitativen Rechtsberatung mit den Sanktionen des Rechtsberatungsgesetzes entgegentreten zu müssen.

    Aus welchen Gründen der Gesetzgeber die unentgeltliche Rechtsberatung gegenüber der gewerblichen Rechtsberatung (vgl. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1-6, ferner §§ 5, 7 RBerG) mit der Beseitigung der Erlaubnismöglichkeit in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise (Art. 3 Abs. 1 GG) diskriminiert hat, lässt die Gesetzesbegründung von 1980 bemerkenswerterweise nicht ersehen. Von schlechten Erfahrungen mit der früheren Regelung ist jedenfalls nichts bekannt geworden.

    Von der Wiedereinführung des Erlaubnisvorbehalts für die altruistische Rechtsberatung ist abzuraten wegen der mit der Prüfung entsprechender Anträge verbundenen Arbeitsbelastung der Justizverwaltung und deshalb, weil auch ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt wäre.

  12. Für den Bereich der altruistischen Rechtsberatung wird folgende Änderung des Gesetzes vorgeschlagen:

    Art. 1 § 1 S. 2 RBerG wird wie folgt geändert:

    Die entgeltliche Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten (...) darf geschäftsmäßig nur von Personen betrieben werden, denen dazu von der zuständigen Behörde die Erlaubnis erteilt ist.

II.

Problematisch erscheint – über das Verbot der unentgeltlichen Rechtsberatung hinaus – auch, dass das RBerG die Möglichkeit zu einer Art Privatjustiz eröffnet. Das ist dann der Fall, wenn Prozessgegner, Vertragspartner, Konkurrenten, Behörden und andere Kontrahenten sich das RBerG in Verbindung mit Vorschriften des Zivilrechts (u.a. §§ 134, 823 Abs. 2 BGB, § 1 UWG) zu Nutze machen, um an sich berechtigte Rechtsansprüche abzuwehren oder deren Durchsetzung zu erschweren. In der Praxis lassen sich dazu zahlreiche Fälle und Fallgestaltungen nachweisen. In all diesen Fällen hat sich der vorrangige Gesetzeszweck – die Rechtsuchenden vor Nachteilen zu bewahren – ersichtlich in sein Gegenteil verkehrt. Im folgenden werden nur einige von vielen anderen Fallbeispiele erwähnt:

  1. OLG Köln, U. v. 24.11.1995, BRAK-Mitt. 1997, 217: Es stellt eine unerlaubte, nicht durch Art. 1 § 3 Nr. 8 RBerG gerechtfertigte Rechtsbesorgung dar, wenn eine Verbraucherorganisation (schriftlich) die rechtlichen Interessen einer von einem Einzelhändler wegen Beschädigung ausgelegter Ware auf Schadensersatz in Anspruch genommenen Kundin diesem gegenüber wahrnimmt.

  2. BGH NJW 1995, 516 (Fall Girmes). Hier wurde eine Aktionärsvereinigung, die die Interessen von Kleinaktionären wahrnimmt, darin gehindert, im Zusammenhang mit der gescheiterten Sanierung der Girmes-AG Schadensersatzansprüche gegen ein Vorstandsmitglied geltend zu machen. Die Gegenseite hatte unter Berufung auf das RBerG die Nichtigkeit der der klagenden Aktionärsvereinigung erteilten Vollmachten gemäß § 134 BGB geltend gemacht. Hier wurde einer kritischen Aktionärsvereinigung durch Instrumentalisierung des RBerG die Möglichkeit zu einer solidarischen Aktion gegenüber möglichem Machtmissbrauch durch den Gesellschaftsvorstand genommen. Bedauerlicherweise hat das BVerfG die Verfassungsbeschwerde der Aktionärsvereinigung nicht angenommen (BVerfG NJW 2000, 1251).

  3. BayObLG v. 13.8.1984 sowie AG Konstanz, U. v. 2.9.1991 – 10 OWi 94/90: Straßenanlieger, die von der Gemeinde zu Straßenausbaubeiträgen, Abwassergebühren usw. herangezogen werden, dürfen sich nicht in der Weise zusammenschließen, dass einer oder einige von ihnen die gemeinsamen Interessen gegenüber der Gemeinde vertreten. Auch die gleiche Rechtsposition und das gemeinsame Interesse der Bürger sollen einer Rechtssache nicht das Merkmal der „Fremdheit“ im Sinne des Art. 1 § 1 RBerG nehmen. Die Mahnung des „Tura res agitur“ (Horaz) ist jenen Gerichten unbekannt.

    Auch hier wurde eine solidarische Interessenwahrnehmung von Bürgern verhindert.

    Andere Ansicht – zur ehrenamtlichen Vertretung der Interessen einer formlosen Mietergemeinschaft – vertritt zwar das Urteil des Landgerichts Dresden NJ 2000, 150. Diese Entscheidung entspricht der neuerdings im Schrifttum vertretenden herrschenden Meinung, nicht aber der in der Rechtsprechung noch immer vorherrschenden Praxis.

  4. Nicht einmal die Mitglieder einer politischen Partei dürfen, auch nicht in Angelegenheiten gemeinsamen politischen Interesses, einander rechtlichen Beistand leisten. OVG Bautzen, U. v. 6.62002 – 3 E 129/01: Daß das Mitglied des Stadtverbandes einer politischen Partei und als einer der beiden Anmelder einer politischen Demonstration auch ein eigenes (politisches) Interesse verfolgt, ändert nichts an der Bewertung, dass er darüber hinaus auch im fremden (politischen) Interesse handelt, wenn er in einem die Versammlungsanmeldung betreffenden Verwaltungsrechtsstreit die Prozessvertretung des Stadtverbandes der politischen Partei übernimmt. Dasselbe gilt, wenn er in einem gegen einen Demonstrationsteilnehmer gerichteten Strafverfahren seine Zulassung als Verteidiger nach § 138 Abs. 1 StPO beantragt.

  5. LSG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 28.1.2002, Sammlung Breithaupt 2002, Heft 8, S. 666: Der Sozialhilfeträger (das Sozialamt einer Stadt) ist nicht befugt, den Sozialhilfeempfänger im Verfahren gegen eine Krankenkasse auf Feststellung der Versicherungsberechtigung vor dem Sozialgericht als Prozessbevollmächtigter zu vertreten. Eine solche Rechtsbesorgung erfolgt geschäftsmäßig und verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 Satz 1 RBerG. Deshalb erfolgte Zurückweisung der Stadt gemäß § 73 Abs. 6 Satz 1 SGG i.V.m. § 157 ZPO.

    Auch hier hat die Anwendung des RBerG mit den Gesetzeszwecken - Schutz des Rechtsuchenden vor unsachgemäßer Rechtsberatung sowie Sicherstellung eines reibungslosen Ablaufs von Rechtspflege und Verwaltung - nichts zu tun. Im Gegenteil wurde eine zügige, reibungslose Abwicklung der Ansprüche der Stadtverwaltung schwer behindert, möglicherweise im Ergebnis sogar ganz vereitelt. Abgesehen von der geringen Anzahl von Fachanwälten für Sozialrecht wird sich eine von Finanznöten geplagte Stadtverwaltung wegen des Kostenrisikos und des zusätzlichen Arbeitsaufwandes schwer damit tun, einen Rechtsanwalt einzuschalten.

  6. OVG Nordrhein-Westfalen BRAK-Mitt. 1999, 280: Ein ehrenamtlicher, im diakonischen Dienst stehender Mitarbeiter einer Kirchengemeinde ist zur geschäftsmäßigen Vertretung in Rechtsangelegenheiten von Sozialhilfeempfängern nicht befugt.

    OVG Münster, NJW 2002, 1442: Die geschäftsmäßige Vertretung von Hilfesuchenden im sozialhilferechtlichen Widerspruchsverfahren durch Mitarbeiter eines von einer evangelischen Landeskirche unterhaltenen Zentrums für Sozial- und Migrationsberatung gehört nicht zu den erlaubnisfreien Tätigkeiten nach Art. 1 § 3 Nr. 1 RBerG. Sie gibt Veranlassung zur Zurückweisung des Bevollmächtigten nach § 13 Abs. 5 SGBX.

  7. OLG München u.v. 7.12.2000, in: NDV-RD, Heft 3/2000, S. 47 ff mit Anm. Busse: Die durch Träger der freien Wohlfahrtspflege geleistete Hilfestellung hat sich auf den Ausgleich sprachlicher und kultureller Defizite zu beschränken.

    In der Auswirkung richtet sich diese Entscheidung gegen die Interessen des Sozialhilfeberechtigten. Findet er nicht doch noch einen fachkundigen Rechtsanwalt, der sich zur Mandatsübernahme nach den Beratungshilfesätzen bereit findet, wird er ohne Sozialhilfe leben müssen.

  8. Urteil AG Nürnberg v. 15.11.2001 – 46 OWi 357 Js 26195/00, bestätigt durch Beschluss des BayObLG, Beschl. v. 26.3.2002 – 3 ObOWi 23/02: Der Geschäftsführer eines Vereins, der sich für Ausländer engagierte, hatte Strafanzeige gegen die Mitarbeiter des Sozialamtes Nürnberg wegen unterlassener Hilfeleistung erstattet; in einer auffälligen Häufung von Fällen hatte das Sozialamt nach längerer Verzögerung Krankenscheine, die von jüdischen Kontingentflüchtlingen aus Tschetschenien beantragt worden waren, erst kurz vor Gültigkeitsablauf ausgestellt. Anstelle von Ermittlungen gegen das Sozialamt erwirkte die Staatsanwaltschaft die Verurteilung des Geschäftsführers wegen Verstoßes gegen das RBerG. Der Geschäftsführer hatte die Strafanzeige nach Beratung mit den übrigen Mitgliedern des Vereinsvorstands, darunter ein Rechtsanwalt, erstattet. Ein Bußgeldbescheid erging wegen Beihilfe zum Verstoß gegen das RBerG – auch gegen den Rechtsanwalt. Erst in der Hauptverhandlung wurde das Verfahren gegen den Rechtsanwalt gemäß § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt. Dem inzwischen selbst auf Sozialhilfe angewiesenen ehemaligen Geschäftsführer wurde für die mit DM 900,-- (!) ungewöhnlich hoch ausgefallene Geldbuße letztlich keine Ratenzahlung gestattet. Stattdessen wurden Erzwingungshaft angeordnet und Vollstreckungshaftbefehl erlassen (vgl. Süddeutsche Zeitung vom 14.6. 2003 und Wochenzeitung FREITAG vom 20.6.2003 – siehe Anlage). Die Verfassungsbeschwerde des Betroffenen wurde vom Zweiten Senat des BVerfG – mit zweifelhafter Zuständigkeit, anstelle des nach der Geschäftsverteilung zuständigen Ersten Senats – mit einem nicht begründeten Nichtannahmebeschluss zurückgewiesen. Die dagegen eingelegte Beschwerde ist seit dem 15.11.2002 bei dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg anhängig.

    Auch hier ist das RBerG ersichtlich zu rechtsfremden Zwecken instrumentalisiert, genauer: missbraucht worden.

  9. Landgericht Köln, U.v. 1.3.2001 – 31 O 812: Auf die Klage der von dem Vermieter eingeschalteten Rechtsanwälte wurde ein Mann zur Unterlassung verurteilt, weil er im Namen seiner Lebensgefährtin in einer Mietrechtssache einen Brief an den Vermieter geschrieben hatte. Das Gericht setzte den Streitwert auf 20.000.-- DM (!) fest. Der Mann musste an Anwalts- und Gerichtskosten 5.630,-- DM zahlen.

  10. OLG München NJW – RR 1996, 315: Der nachbehandelnde Arzt darf zwar auf Behandlungsfehler des vorbehandelnden Arztes hinweisen. Der Hinweis, der Patient könne vom erstbehandelnden Arzt das für diese Behandlung bezahlte Honorar zurückfordern, verstößt jedoch gegen Art. 1 § 1 RBerG.

    Das Urteil leistet dem Interesse mancher Ärzte, vor nachhaltiger Kritik abgeschirmt zu werden, Vorschub. Es konterkariert die in der Öffentlichkeit vermehrt vorgetragenen Forderungen zu einer stärkeren Kontrolle der Ärzte. Mit Hilfe eines angeblich zum Schutz der Verbraucher vor unqualifizierten Dienstleistungen (Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung) bestimmten Gesetzes wird der Schutz der Patienten vor unqualifizierter Dienstleistung durch ihre Ärzte unterlaufen.

  11. Kammergericht Berlin, U.v. 21.2.2001 – 2 Ss 8/01: Therapeuten (hier eine Psychologin) dürfen ihren Patienten bei der Geltendmachung ihrer Ansprüche gegen die Krankenkasse nicht mit rechtlicher Hilfestellung zur Seite stehen. Zwar nimmt der Therapeut dabei nicht nur die für ihn fremden Interessen des Patienten, sondern auch das eigene Interesse wahr. Das fremde Interesse soll aber den „Wesenskern“ der Hilfestellung ausmachen. Die Therapeutin wurde nicht nur vom Auftreten vor dem Landesozialgericht Berlin ausgeschlossen, sondern außerdem – mit Bestätigung durch das Kammergericht – zu einer Geldbuße von 500,-- DM verurteilt. Die Patientin hatte darauf resigniert und die Behandlung abgebrochen. Auf ähnliche Weise haben Krankenkassen in einer Umfunktionierung des Gesetzeszwecks die Ansprüche der Patienten einer Sterbe-Tagesklinik in Köln zu Fall gebracht.

  12. BGH NJW 2000, 1560 und BGH NJW 2000, 1333: Nach in der Rechtsprechung absolut herrschender Meinung verstößt der Auftragnehmer eines Dienst-, Geschäftsbesorgungs- oder Gesellschaftsvertrages gegen das RBerG, mit der Folge, dass der Vertrag nichtig ist und der Honoraranspruch entfällt. Mit Hilfe dieser Konstruktion konnten sich und können sich noch immer ungezählte Auftraggeber ihrer Verpflichtung zur Honorarzahlung entziehen, weniger freundlich ausgedrückt: den Auftragnehmer um seinen Lohn zu prellen (zahlreiche weitere Entscheidungen bei Rennen/Caliebe, RBerG, 3. Aufl., Art. 1 § 1, Rn. 197). Die Entscheidung des BVerfG NJW 2002, 3531, die einem Erbensucher für einen Ausschnitt seiner Tätigkeit aufgrund der Umstände des Einzelfalles eines Honoraranspruch zugesteht, kann auf die überwiegende Mehrzahl der Fälle nicht übertragen werden.

  13. Die missbräuchliche Anwendung des RBerG über die Brücke juristischer Konstruktionen macht nicht einmal vor den Entscheidungen von Verstorbenen halt. Erfolgreich bei Erbstreitigkeiten eingesetzt worden ist das RBerG zum Beispiel, um dem letzten Willen von Verstorbenen unkorrigierbar die Beachtlichkeit zu versagen. So hat das OLG Düsseldorf die Einsetzung des als Vertrauensperson von einem Erblasser bestimmten Steuerberaters für nichtig erklärt: Unrichtig sei die Annahme, „das Bürgerliche Gesetzbuch belasse dem Testierenden die uneingeschränkte Wahl, wen er zum Testamentsvollstrecker bestimme. Aus der grundsätzlichen Testierfreiheit des Erblassers kann nicht gefolgert werden, dass jedermann seine Dienste als Testamentsvollstrecker geschäftsmäßig anbieten dürfe. Die Testierfreiheit (...) steht insoweit (...) unter dem Vorbehalt der Zulässigkeit nach dem RBerG“ (OLG Düsseldorf, U.v. 30.5.2000, AZ: EwiR Art. 1 § 1 RBerG 7/2000). Hier wird dem rechtsunkundigen Bürger ins Grab nachgerufen, er hätte sich rechtzeitig mit dem Verbot der geschäftsmäßigen Rechtsberatung und den verschlungenen Wegen seiner trickreichen Anwendung – sei es auch zum Nachteil der angeblich geschützten Rechtsuchenden - vertraut machen müssen.

  14. Mit der gleichen Konstruktion sind in ungezählten Fällen Vollmachten für nichtig erklärt worden, mit der schwerwiegenden Folge, dass rückwirkend die aufgrund der Vollmacht erteilten Willenserklärungen und zustande gekommenen Verträge von der Nichtigkeit erfasst wurden. Prüfungsbedürftig erscheint, ob der Gesetzgeber diese Nebenfolgen des RBerG bedacht hat und ob künftig die Sanktionierung eines Verstoßes gegen das RBerG nicht besser allein der Staatsanwaltschaft vorbehalten bleiben sollte.

    In manchen Fällen ist der Gedanke, die Vollmacht oder ein anderes entscheidungserhebliches Rechtsgeschäft könne wegen Verstoßes gegen das RBerG gemäß § 134 nichtig sein, dem Anwalt der Gegenseite erst in der Rechtsmittelinstanz gekommen. Hing von der Vollmacht eine Vertretungsbefugnis der Partei im Rechtsstreit selbst ab, konnte der Prozess unter Umständen mittels einer neuen Klage – durch alle Instanzen – erneuert werden. Derartige Komplikationen laufen dem vorgeblichen Gesetzeszweck „Sicherung eines reibungslosen Ablaufs der Rechtspflege“ eher zuwider.

  15. Beschluss des Amtsgerichts Wolfenbüttel v. 24.11.1999 – 1220-3/12 Gs 783/99 (StA Braunschweig 702 Js 42446/99): Anordnung der Hausdurchsuchung bei dem Initiator einer Selbsthilfegruppe von Bürgern, die meinten, Opfer nachlässiger Anwalts- oder Notartätigkeit geworden zu sein. Nach Durchsuchung wurde das Ermittlungsverfahren eingestellt.

  16. Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 13.10.1999 2 OWi 701 Js 9841/99.
    • Geschäftsmäßiges Handeln ist auch dann anzunehmen, wenn der Betroffene in insgesamt nur 3 Fällen, verteilt auf einen Zeitraum von mehr als acht Jahren, wegen Nötigung bzw. Rechtsbeugung angeklagte Richterkollegen unentgeltlich rechtlich beraten hat und mit gerichtlicher Zulassung nach § 138 Abs. 2 unentgeltlich einen Pazifisten verteidigt hat, der seinerseits mit einem Bußgeld wegen unentgeltlicher Rechtsberatung belegt worden war.

    • Gegen das RBerG verstößt auch der Bürger, der unentgeltlich in Form einer Anregung eine Staatsanwaltschaft dazu veranlasst, die Aufhebung eines Todesurteils aus dem Jahre 1944 zu erwirken.

  17. Urteil des AG Braunschweig v. 25.7.2001 - 2 OWi 701 Js 42774/99:
    • Gegen das RBerG verstößt der Bürger, der mit gerichtlicher Zulassung nach § 138 Abs. 2 StPO eine Pazifistin unentgeltlich verteidigt, die gemeinsam mit anderen Bürgern in einer Anzeige in der „Tageszeitung“ (taz) den Angriffskrieg gegen Jugoslawien kritisiert hatte.

    • Geschäftsmäßiges Handeln liegt selbst dann vor, wenn seit der letzten Rechtsberatung bzw. Rechtsbesorgung (siehe den unter Nr. 16 aufgeführten Fall) mehr als zwei Jahre vergangen sind. Zur Annahme eines geschäftsmäßigen Handelns genügt es, dass der Bürger auf seinem Recht zur gelegentlichen Beratung von Mitbürgern in Prozessen mit politischem Hintergrund besteht und erklärt, dass er in geeigneten Fällen auch künftig in Rechtsnot geratenen Bürgern seine Hilfe nicht versagen wird.

  18. Mittlerweile folgern die Gerichte aus einer Verurteilung wegen altruistischer Rechtsberatung ein lebenslanges Tätigkeitsverbot, ohne dass die Möglichkeit eines entsprechenden Berufs- oder Tätigkeitsverbots im OWiG oder StGB vorgesehen wäre. Weil er bereits vorverurteilt sei, also gewissermaßen nach der Formel „einmal geschäftsmäßig, immer geschäftsmäßig“ ist dem durch die Urteile des Amtsgerichts Braunschweig Betroffenen trotz längeren dazwischenliegenden Zeitintervalls die Zulassung nach § 138 Abs. 2 StPO versagt worden: Beschluss des KG Berlin vom 20.11.2000 – 3 Ws 435/00; Beschluss des LG Bonn vom 31.10.2000 – 31 Qs 135/00.

  19. Als der Betroffene beim LG Heidelberg in einem Strafverfahren gleichfalls mit politischem Hintergrund seine Zulassung als Strafverteidiger beantragt hatte, erhielt er anstelle irgendeines Bescheides des LG einen Bußgeldbescheid der Staatsanwaltschaft über € 600,-- (Bußgeldbescheid der Staatsanwaltschaft Heidelberg v. 14.6.2003 – 20 Js 14394/03). Auf diese Weise wurde – aus unbekannten Hintergrundserwägungen von Staatsanwaltschaft und Gericht – dem Angeklagten das grundsätzlich jedem Bürger gem. § 138 Abs. 2 StPO eingeräumte Recht auf einen Verteidiger seiner Wahl genommen.

  20. Nachdem das Landgericht Bonn (vgl. oben unter Ziffer 18) seine Entscheidung damit begründet hatte, der Betroffene habe versäumt, die in Art. 1 § 1 RBerG vorgesehene Erlaubnis einzuholen, hat der Betroffene bei dem Präsidenten des Landgerichts Braunschweig einen entsprechenden Antrag gestellt. Mit der Begründung, dass der Gesetzgeber den Erlaubnisvorbehalt durch ein absolutes Verbot ersetzt habe, ist dieser Antrag ebenso wie ein hilfsweise beantragtes sog. Negativattest abgelehnt worden. Die dagegen gerichtete Klage wurde vom Verwaltungsgericht Braunschweig zurückgewiesen (Urteil VG Braunschweig vom 20.8.2002 – Za 363/00). Über die vom OVG Lüneburg zugelassene Berufung ist noch nicht entschieden worden.

  21. Rechtsberatung durch Gefangene für Mitgefangene
    Amtsgericht Arnsberg, U. v. 1982 (zit. nach Frankfurter Rundschau vom 05.06.1982): Verurteilt wegen geschäftsmäßiger Rechtsbesorgung wurde ein Strafgefangener, der schreibungewandten Mithäftlingen bei der Abfassung von Eingaben an Justizbehörden geholfen hatte.

    OLG Hamm NStZ 1982, 438: Ein Strafgefangener verstößt gegen das RBerG, wenn er innerhalb eines Zeitraums von wenigen Monaten als Bevollmächtigter anderer Insassen der JVA Aachen Anträge nach §§ 23 ff EGGVG oder §§ 109 ff StVollzG stellt.

    Inzwischen ist diese Anwendung des RBerG insbesondere in Bayern (u.a. AG Straubing) allgemeine Praxis geworden. Dabei genügt, dass ein Gefangener einem Mitgefangenen schriftliche Formulierungshilfe leistet. Gegen die betreffenden Gefangenen sind zum Teil fühlbare Geldbußen verhängt worden.

    Teils wird – praktisch mit demselben Ergebnis – eine andere Konstruktion gewählt: Rechtliche Beratung und Schreibhilfe für Mitgefangene wird mit Disziplinarmaßnahmen (Hausstrafen) geahndet. Die Hausordnungen der meisten Vollzugsanstalten schreiben vor, dass Strafgefangene ihre Anträge und Eingaben selbst zu schreiben haben, und verweisen auf die Vorschrift, dass die geschäftsmäßige (auch unentgeltliche) Rechtsberatung durch Gefangene gegen das RBerG verstößt.

    Zahlreiche Oberlandesgerichte haben entsprechende Hausstrafen gebilligt, u.a. OLG München ZfStrVo 1981, 380. Die gegen solche Disziplinarmaßnahmen gerichtete Verfassungsbeschwerde eines Strafgefangenen aus Nordrhein-Westfalen hat das BVerfG nicht angenommen (BVerfG NStZ 1998, 13). In dem betreffenden Fall hatte der Gefangene allerdings für seine Hilfen Gegenleistungen in der Form von Lebensmitteln, Tabak oder Briefmarken angenommen: Das BVerfG ist davon ausgegangen, dass unerlaubte Rechtsberatung zu einer Störung des geordneten Zusammenlebens in der Anstalt führt. Andere Entscheidungen rechtfertigen die Hausstrafen damit, derartige Tätigkeiten seien geeignet, Abhängigkeiten und Autoritätsstrukturen entstehen zu lassen, die in ihren Auswirkungen die Sicherheit und Ordnung in der JVA gefährden können (z.B. OLG Hamm NStZ 1982, 438).

  22. Unter Berufung auf das RBerG hat der Leiter der JVA Würzburg das an einen Strafgefangenen als Spende übersandte harmlose Buch „Strafvollstreckung“ unter Hinweis darauf angehalten, der Gefangene stünde im Verdacht von Rechtsberatung für Mitgefangene (vgl. Kramer, Rechtlos im Strafvollzug? In: Till Müller-Heidelberg, Ulrich Finckh u.a. (Hg.), Grundrechte-Report 2002, Reinbek 2002, S. 169 ff). Darüber hinaus suchen die Anstaltsleitungen zu verhindern, dass Gefangene sich selbst über ihre Rechte informieren. In den meisten Anstalten ist die Einstellung des vom Strafvollzugsarchiv der Universität Bremen (Professor Johannes Feest) herausgegebenen Ratgebers für Gefangene in die Gefängnisbüchereien verboten.

  23. OLG Nürnberg, Beschl. v. 27.7.2001, NStZ 2002, 55:
    Die von einem Mitgefangenen mit Wissen des Beschwerdeführers unter Verstoß gegen das RBerG eingelegte Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Aus der Begründung: „Eine unter Verstoß gegen das RBerG zustande gekommene Rechtsbeschwerde kann nicht Gegenstand einer oberlandesgerichtlichen Überprüfung sein, da gegen Recht und Gesetz verstoßende Anträge keinen Anspruch auf sachlich Prüfung begründen können. Dies würde einer unzulässigen Beihilfe (des Gerichts) zu gesetzeswidrigen Handlungen gleichkommen“. Eine Begründung, warum die Rechtsbeschwerde selbst gegen Gesetz und Recht verstößt, enthält der Beschluss nicht.

  24. Nach ständiger, in der Kommentarliteratur bislang unkritisch hingenommener Rechtsprechungspraxis sind bei einem Verstoß gegen das RBerG klageberechtigt gemäß §§ 1 und 3 UWG Anwaltsvereine, Rechtsanwaltskammern und auch jeder einzelne Rechtsanwalt (u.a. BGH NJW 1956, 749, BGH NJW–RR 1996, 634). Voraussetzung ist zwar gemäß § 13 UWG, dass die unerlaubte Rechtsbesorgung einen den Wettbewerb erheblich beeinträchtigenden Verstoß darstellt (KG NJW–RR 1995, 1268). In der Praxis bejahen die Gerichte die Annahme einer solchen Erheblichkeit aber fast immer, falls eine solche Prüfung überhaupt erfolgt.

    Bedenken bestehen hier schon aus folgendem Grund: Dem Anwalt, der erfolgreich eine solche Klage erhebt, winken die hohen Prozessgebühren, die Rechtsanwälte auch in eigener Sache liquidieren dürfen. Es gibt sogar Anwaltspraxen, deren Haupteinnahmequelle in der Erhebung derartiger Klagen besteht. Um solche Auswüchse zu vermeiden, sollte eine gesetzliche Klarstellung dahin erfolgen, dass bei Verstößen gegen das RBerG eine Antragsbefugnis nur Rechtsanwaltskammern zusteht. Auch sollte diese Befugnis auf die – dem ursprünglichen Gesetzzweck allein entsprechende – Befugnis zur Erstattung einer Ordnungswidrigkeitenanzeige wegen Verstoßes gegen das RBerG beschränkt werden. Mit der Elastizität des Ordnungswidrigkeitenverfahrens (vgl. u.a. § 47 Abs. 1 OWiG) könnte den in der bisherigen Gesetzesanwendungspraxis aufgetretenen Auswüchsen begegnet werden.

III. Zusammenfassung

Aus sämtlichen Fallbeispielen ergibt sich: Niemals ging es darin wirklich um den Schutz der Rechtsuchenden. Die Berufung der betreffenden Behörden, Vertragspartner usw. war nicht von der Sorge getragen, den Rechtsuchenden eine bestmögliche Durchsetzung ihrer Rechte zu gewährleisten. Vielmehr kam es ihnen allein darauf an, den Rechtsuchenden die Durchsetzung ihrer Rechte möglichst zu erschweren. Auch die anderen angeblichen Schutzzwecke waren nicht tangiert.

Die genannten Fallbeispiele beruhen nicht auf einer willkürlichen Auswahl. Die hier behauptete Tendenz zu einer rechtsfremden Praktizierung des RBerG könnte vielmehr um zahlreiche ähnliche Beispiele zusätzlich belegt werden.

Gewiss treten in der Praxis gelegentlich auch mit keinerlei Rechtskenntnissen ausgestattete wohlmeinende altruistische Helfer auf, die – z.B. durch Übersehen von Rechtsmittelfristen – ihren Mandanten eher Schaden als Nutzen bringen können. Aber gerade solche Fälle, in denen Verwaltungsbehörden aus diesem Grunde – also im Interesse der betreffenden Rechtsuchenden – eine Ordnungswidrigkeitenanzeige erstattet hätten, sind dem Kläger nicht bekannt geworden. Im übrigen: Soweit zum schriftlichen oder mündlichen Vortrag wirklich ungeeignete Helfer gegenüber Behörden oder Gerichten auftreten, bieten die den Ausschluss ungeeigneter Vertreter ermöglichenden Verfahrensvorschriften eine ausreichende Abhilfe. Demgegenüber gibt es – mangels einer effektiven Standesaufsicht – keine ausreichende Überwachung rechtlich oder menschlich unqualifizierter Rechtsanwälte. Zwar gibt es hochqualifizierte Anwälte, die fachlich mitunter manchem Richter weit überlegen sind. Doch gibt es in der Anwaltschaft nicht wenige „schwarze Schafe“. Die tüchtigen Kollegen räumen dies und die Defizite bei der Handhabung der Standesaufsicht durch die Anwaltskammern selbst ein. Es gibt eine hoch einzuschätzende Dunkelziffer der verlorenen Prozesse und von außergerichtlich unbefriedigend verlaufenden Rechtssachen, in denen der rechtsunkundige Bürger nie, insbesondere auch nicht durch die von ihm erbetene Auskunft der Anwaltskammer erfährt, dass seine Niederlage auf eine zu flüchtige anwaltliche Bearbeitung zurückzuführen ist und dass ihm (theoretisch) Regressansprüche zustehen. Der Verweis auf die Verpflichtung des Rechtsanwalts zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung wird von all den Bürgern als schwacher Trost empfunden, die im dunklen Gefühl anwaltlichen Versagens einmal versucht haben, Schadensansprüche gegenüber einem Rechtsanwalt geltend zu machen.

Schon seit langem dient das RBerG in seinem größten Anwendungsbereich ganz anderen Interessen, als sie den offiziellen Gesetzeszwecken entsprechen.

Zwar kann dem Gesetz nicht jede Notwendigkeit abgesprochen werden. Es ist jedoch an der Zeit, die Regelung auf einen vernünftigen, insbesondere mit den Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG zu vereinbarenden Anwendungsbereich zurückzuführen. Die Neuregelung muss in erster Linie tatsächlich den Interessen derer dienen, deren Schutz es vorgeblich dienen soll: den Interessen der rechtsuchenden Bürger. Sie dürfen nicht länger durch einen ihnen aufgedrängten Schutz bevormundet werden. Auch müssen die Bürger – neben altruistischer Hilfe - rechtsberatende und rechtsbesorgende Hilfestellungen von nicht zu den rechtsberatenden Berufen gehörenden Dienstleistern dort in Anspruch nehmen dürfen, wo solche Hilfestellungen im Rahmen anderweitiger Dienstleistungen zügiger und unkomplizierter gegeben werden können (vgl. Hartmut König, Rechtsberatungsgesetz, Bonn 1993, S. 117, 125 f).

Nur innerhalb eines solchen Rahmens ist eine Regelung diskutabel, die eine Abgrenzung der Tätigkeitsfelder der verschiedenen rechtsberatenden Berufe untereinander normiert.

Türen, die einen Missbrauch des Gesetzes zu gesetzesfremden Zwecken eröffnen, müssen verschlossen werden, insbesondere durch eine Klarstellung dahin, dass bestehen bleibende Beratungsverbote nicht mit Sanktionen zu Lasten des rechtsuchenden Bürgers durchgesetzt werden dürfen.

Zugleich sind die Qualitätsanforderungen an die Angehörigen der rechtsberatenden Berufe zu verstärken. Auch ist die bislang vernachlässigte Qualitätskontrolle der Anwaltschaft effektiver zu gestalten.

Eine unbefangene, nicht interessengeleitete Überprüfung des RBerG und seine Reform sollten um so leichter fallen, als die Verfasserin des die „herrschende Meinung“ stützenden „Standardkommentars“ zum RBerG, die jetzt zur Richterin am Bundesgerichtshof gewählte Richterin Gabriele Caliebe sich inzwischen von den zentralen Aussagen ihres Kommentars weitgehend mit folgender bemerkenswerter Begründung distanziert hat:

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Ob allerdings der nächste Deutsche Juristentag (September 2004), der die Reform des RBerG auf seine Tagesordnung gesetzt hat, wesentliche Impulse zu einem Wandel bringen wird, ist fraglich. Der mit der Bearbeitung der Rechtsproblematik befasste Gutachter ist Professor Dr. Martin Henssler, ist Direktor des Instituts für Anwaltsrecht der Universität Köln. Dies Institut wird von der Hans-Soldan-Stiftung finanziert, hinter der der Deutsche Anwaltsverein (DAV) steht. Professor Henssler ist auch Verfasser der Kommentierung zum RBerG in Henssler/Prütting, Kommentar zur BRAGO, Verlag C. H. Beck, München 1997. Verfasser des dritten, soeben erschienenen Kommentars Chemnitz/Johnigk, RBerG (11. Aufl. 2003), der auch die neueren kritischen Stimmen unterdrückt, ist von dem Geschäftsführer der BRAK verfasst – ein weiteres Beispiel für die interessengebundene Art, in der die sog. herrschende Meinung gesteuert wenn nicht geradezu produziert wird. Unter Aufgebot komplizierter Umschreibungsformeln vermeiden alle Kommentatoren geflissentlich jeden klaren Hinweis auf die problematische Tatsache, dass die Erlaubnisfähigkeit für die unentgeltliche Rechtsberatung im Jahre 1980 abgeschafft worden ist.