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Der Kampf gegen die Rehabilitierung als Gesinnungsmilitarismus?

In Gegenüberstellung der „Kriegsverräter“ und der Wehrmachtjuristen ist Norbert Geis dem Rehabilitierungsanliegen mit der Behauptung entgegengetreten, damit würde man denjenigen Richtern der Wehrmachtjustiz Unrecht zufügen, „die mit großem Mut dem Druck von Partei und Gestapo widerstanden und sich um ein unabhängiges richterliches Urteil bemüht haben“. Ihnen allen, zu denen er auch Hans Filbinger zählt, würde mit der Rehabilitierung „furchtbares, nicht wieder gut zu machendes Unrecht geschehen“ (Pressedienst CDU/CSU vom 2. Juni 1995, abgedruckt im Katalog der Ausstellung zur Wehrmachtjustiz, S. 127).

Der Umkehrschluss, mit der Kritik an einem propagandistisch verbrämten Krieg oder der Rehabilitierung von Kriegsgegnern würde man den zum Durchhalten veranlassten Soldaten Unrecht tun, hat in Deutschland eine unheilvolle Tradition. Schon nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde eine kritische Erörterung der Kriegsursachen mit ähnlichen Argumenten vereitelt. Hinter der justiziellen Bekämpfung jeder Art von Pazifismus in der Weimarer Republik stand ein gesinnungsmäßiger Militarismus, der apologetisch noch immer an den missbrauchten Idealen von heroischem Heldenmut und Kriegskameradschaft festhielt. Mit Felix Fechenbach, Georg Grosz sind nur einige Namen der von dieser Justiz Verfolgten genannt (vgl. Wolfram Wette, Militarismus in Deutschland. Geschichte einer kriegerischen Kultur. Frankfurt 2008, S. 133 ff). Denjenigen, die hellsichtig schon vor und während des Ersten Weltkrieges vor der Kriegstreiberei gewarnt hatten, wurde jede Genugtuung versagt. Sie wurden sogar als Verräter diffamiert, nicht wenige wurden von nationalistischen Geheimbünden ermordet, ohne ernsthafte strafrechtliche Verfolgung der Täter. Dem Heidelberger Professor Emil Julius Gumbel wurde wegen seiner kriegskritischen Äußerungen die Lehrbefugnis entzogen. Durch zunehmende Gewaltandrohung dazu gezwungen, musste er schon im Jahre 1932 emigrieren. Ob sich die militaristische Wut gegen die Aufführung des Films von Erich Maria Remarque „Im Westen nichts Neues“ im Jahre 1930 richtete oder ob rechtsradikale Studenten sich in Massenprotesten gegen die Pazifisten Emil Julius Gumbel und Theodor Lessing zusammenrotteten, stets bediente man sich des Vorwurfs, mit einer kritischen Erörterung der Ursachen des Krieges von 1914 bis 1918 würden die heldenhaft kämpfenden und nur durch den „Dolchstoß“ von Vaterlandsverrätern um den Sieg gebrachten deutschen Soldaten entehrt.

Nicht einmal die Niederlage von 1945 brachte die tradierte Kriegsideologie ganz zum Verschwinden. In Urteilsbegründungen der frühen Bundesrepublik schimmerte sie immer wieder durch, mit einer Verabsolutierung von Krieg, soldatischen Pflichten und Kameradschaft. Im sog. Huppenkothen-Urteil vom 19.6.1955 ließ der Bundesgerichtshof sogar Zweifel an der Berechtigung des Widerstandes vom 20. Juli anklingen: Schließlich gelte auch für das Deutschland der Jahre von 1939 bis 1945 „das Recht des Staates auf Selbstbehauptung“, zumal man damals „in einem Kampf um Sein oder Nichtsein“ gestanden habe. In ihrem Ressentiment gegen Pazifisten und Widerständler bemerkten die Bundesrichter nicht einmal, dass sie sich hier der Terminologie Hitlers und Freislers wörtlich bedienten. Vorstellungen vom Krieg als einem absoluten Wert hing auch das Landgericht Lüneburg in seinem Urteil vom 4.11.1961 gegen einen Kommunisten nach: Zwar wurde der Angeklagte Werner Müller zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Doch wurde ihm seine „vorbildliche Führung im Zweiten Weltkrieg als Soldat strafmildernd“ angerechnet. Dabei „ging das Gericht von der Erwägung aus, dass der soldatische Einsatz in Gesinnung und Opferbereitschaft seinen Wert in sich selbst trägt und dass er deshalb ohne Rücksicht darauf gewertet werden muss, welche Ziele die politische Führung mit diesem Einsatz erstrebt“. Hierzu passt auch die abenteuerliche Argumentation, mit der der BGH Kriegsdienstverweigerern des Jahres 1939 jegliche Wiedergutmachungsansprüche absprach: sie, die Kriegsdienstverweigerer, deren Ausfall für die deutsche Wehrmacht „verschwindend gering“ gewesen sei, würden sonst „unberechtigterweise vor jenen bevorzugt, die es (...) als ihre Pflicht angesehen hätten, sich dem Wehrdienst, wie er von der staatlichen Gewalt gefordert wurde, nicht zu entziehen“ (Urteil des BGH v. 14.7.1961, NJW 1962, S. 195 f; ähnlich BGH v. 24.6.1964, Deutsche Richterzeitung 1964, S. 312 f). Die Argumentation, mit der ein Begriff wie „soldatische Kameradschaft“ ohne Rücksicht auf die Zeitumstände verabsolutiert wird und die Art, mit der bei der Beurteilung der Überläufer die deutsche Kampfkraft im Zweiten Weltkrieg noch im Bundestag von heute ausgeklammert wird, war schon in dem bereits erwähnten Huppenkothen-Urteil vom 19.6.1955 vorweggenommen. Vom BGH in Frage gestellt wurde damals das Recht der Widerstandskämpfer des 20. Juli, „um der Beseitigung der Gewaltherrschaft willen Menschenleben von Unschuldigen zu opfern, z.B. durch Mitteilung bevorstehender militärischer Unternehmen an den Gegner“. Die Funktion der Wehrmacht als Teil der Vernichtungsmaschinerie, die u.a. auch den Massenmord an den Juden militärisch absicherte, gerät hier ebenso wenig ins Blickfeld wie bei der Beurteilung des Verhaltens der Überläufer.

Parallel zu Feststellungen, wonach man die Kriegsdienstverweigerer von 1939 nicht gegenüber den lediglich ihren soldatischen Pflichten nachkommenden Soldaten bevorzugen dürfe, geht es auch, wenn die Rehabilitierungsgegner Überläufer bzw. Deserteure und Wehrmachtrichter in einem Umkehrschluss vergleichend gegenüberstellen. Schon in der Bundestagsdebatte vom 16. März 1995 erklärte Norbert Geis, mit einer pauschalen Rehabilitierung der Deserteure würde man nur „neues Unrecht“ schaffen. Damit würde man all diejenigen, „die das Gefühl hatten, in der Truppe ihre Pflicht tun zu müssen und die Truppe nicht verlassen zu dürfen, (...) ins Unrecht setzen“ (nach Wolfram Wette, Deserteure der Wehrmacht, S. 222).

Die Ähnlichkeiten in Argumentation und Diktion sind unverkennbar. Zwar hat sich der Ton des hier zum Ausdruck kommenden Gesinnungsmilitarismus gemäßigt, wie er insgesamt auch an popularistischer Durchsetzungskraft verloren hat. Geblieben sind die Stereotype und die dahinter verborgenen irrationalen Antriebe. So wie einst die Unfähigkeit, die Niederlage von 1918 einzugestehen, zu der gegen Justizkritiker gerichteten Dolchstoßlegende der Weimarer Zeit führte, versuchen heute die Rehabilitierungsgegner mit der Suggestivkraft des Wortes „Verrat“ und der „Gefährdung von Kameraden“ sowie mittels Beschwörung von soldatischer „Kameradschaft“ die „Kriegsverräter“ zu diffamieren und dem Angriffskrieg von 1939 bis 1945 eine letzte Aura zu erhalten.